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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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Elektrischen, die vereinzelten, verhaltenen Rufe und das Wehen des Winds zu dem Geräusch wurden, das mich begleitete, als ich mit den aus der Etappe Zurückkehrenden das erste Mal an die Front rückte. Von Tag zu Tag wurden wir nervöser, die Landschaft alterte um Jahre mit jedem Tagesmarsch. Aber wir bewohnten Häuser, wie sie manche von uns vor dem Krieg nicht einmal von innen gesehen hatten. Die Nächte wurden belebter, in den Nächten war die Front schon ganz nah, als würden wir im Schlaf weiter vorrücken. Und wir wachten bedrückter auf mit jedem Morgen. Die Front war ominös, ich sah überall nur ihre Wirkungen.
    Dann begannen die Gräben. Ich war diesen Blick nicht gewöhnt, man sah nur seinen Vordermann und den Nachthimmel. Ich wünschte mir nichts mehr, als von oben bei Tag darauf sehen zu können, um diese endlosen Windungen zu verstehen, die Laufgräben, das Zurückspringen der Schulterwehren: Auf den Zeichnungen hatte das wie ein Zinnenkranz ausgesehen, aber hier war es nur immer das atemlose gebückte Vorwärtshasten, nur Erdreich rechts und links und Hindernisse, die ich im Dunkel nicht erkennen konnte, und der Geruch, Echo. – Da schreckte ich kurz auf, fiel zurück, wie konnte ich den Geruch wahrnehmen, wo ich doch hier auf dem Turm war. Oder war ich nicht mehr hier, was ist wirklich, sind es die gemauerten Wände oder die geschanzten. Abrupte Windungen wie die Flucht eines Hasen. Der Gedanke, von einem Turm aus, von einem Infanterieflieger wären diese Finten nicht unvermittelt, sondern wie vorgeschriebene Gleise, könnte einer zielen auf den Ort, den wir in zwei Minuten erreicht haben würden. Hasten, aber man ist nicht ein Einzelner, es geht nicht so schnell, wie man will, es kommt auf mich nicht an. Wenn eine Lücke ist an meiner Statt, wird der Nächste nachrücken. Also nicht fliehen, den Platz ausfüllen, denken, daß keiner wie von einem Turm auf uns blickt. Daß wir geschützt sind vor dem, was auch vor unseren Blicken geschützt ist. Den Gedanken an Perspektive aufgeben, nur laufen durch die endlosen Gräben, nur eines nach dem andern, nur horizontal denken, nur jetzt, jetzt und nicht dort, nicht später. Statisch werden, Echo, das kann helfen zu überleben. Den Gedanken an Bewegung abgewöhnen, nur den Zustand aufnehmen, nicht seine mögliche Veränderung, nur jetzt, nur hier. Hätte ich neben mir gestanden, könnte ich schon tot sein, ja, nein, nicht darüber nachdenken, den Turm vergessen.
Ströme
    Ich liege auf den Planken, der Rhythmus meines Atems ändert sich, bis er ganz in einen neuen, schnelleren Takt übergeht. Die Atemfrequenz einer anderen Welt, wie der Übergang zwischen Wachen und dem tiefen Wasser der Nacht, die man mit langen ruhigen Zügen durchschwimmt. Echo, hör mir zu, ich erzähle dir von dort. Ich sehe den Schwalben nach, die uns hier mit unserer ganzen Munition und ein bißchen Proviant allein lassen. Wo sind wir, wenn sie zurückkehren? Sehen wir sie an den buckligen Wänden der bretonischen Bauernhäuser ihre Jungen großziehen, oder fangen wir selbst Fliegen, um nicht zu verhungern? Nisten wir uns ein in den lehmigen Nestern, die wir in die Erde gegraben haben? Und statt unserer kommen junge, immer jüngere in die Nester. Und die müssen immer weitere, immer gefährlichere Beutezüge machen, um noch etwas zu finden, von dem sich leben ließe. Welch kleine Etappe sind unsere Kämpfe auf ihrem Flug. Ich sehe aus Schwalbenaugen herab auf unsere Grabensysteme: zittrige Linien, eine Flußlandschaft vielleicht, in der die Laufgräben in den breiten Lauf der Frontlinie münden, die ruhig durch die Landschaft mäandert. Parallel zum gegnerischen Grabensystem, ein Zweistromland. Zwischenland: Mesopotamien. Man könnte über unsern Kampf wie über die kriegerischen Geschichten zwischen Euphrat und Tigris reden: historisch. Im Jahre zweitausendfünfhundert vor Christus eroberten die Akkader von Westen her das Reich der Sumerer. Um zweitausend vor Christus zerstörten die Gutäer aus dem Osten das Akkaderreich. Dann kamen die Elamiten und immer wieder Westsemiten. Assyrer, Meder. Ninive, Babylons Turm, Semiramis’ Gärten, unsere in die Erde gebauten märchenhaften Tempel: die Unterstände, in denen wir im Gebet liegen bei jedem feindlichen Angriff.
    Wie klangen jetzt diese Worte: urbar machen, die fetten Böden Mesopotamiens, die von Granatexplosionen und Artilleriebeschuß umgepflügte Erde, die untergepflügten Körper, ein Hase auf panischer Linie zwischen den

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