Tunnel - 02 - Abgrund

fort und rannte weiter.
    Allmählich spürte Will, wie sich die Anstrengung bemerkbar machte – trotz des säuerlichen Geschmacks des Pflanzenkerns, den er noch immer im Mund schmeckte. Sein Atem ging vor Erschöpfung schnell und flach, und sein Schädel pochte, als würde er jeden Moment explodieren.
    Im nächsten Moment entlud sich ein kleiner Kugelblitz Funken sprühend nur wenige Zentimeter vor Elliott, wie eine Art pflichtvergessene Fee Tinkerbell. Doch statt ihr Tempo zu drosseln, rannte das Mädchen unbeirrt weiter, fast durch das Umfeld des Blitzes hindurch.
    Endlich erreichten sie den äußeren Rand der Großen Prärie.
    Will und Elliott stürmten in eine der Lavaröhren, wo die Dunkelheit sie schützend umfing – das Leuchten des elektrostatischen Sturms blieb flackernd weit hinter ihnen zurück. Während Will das Sichtgerät wieder einschaltete, sah er, dass Elliott im Laufen erneut etwas aus ihrer Jackentasche holte – einen weiteren Lederbeutel.
    »Was machst du da? Was ist das für ein Zeug?«, fragte er schnaufend.
    »Dörrer. «
    »Was?«
    »Es sorgt dafür, dass die Spürhunde auf der Stelle stehen bleiben. Brennt ihnen Löcher in die Nase«, erklärte Elliott und grinste boshaft.
    Will schaute sich um und sah ein strahlend gelbes Leuchten, da ein Teil des Pulvers in eine Pfütze gefallen war. Er wusste, dieses fluoreszierende hellgelbe Licht hatte er schon einmal gesehen … Genau! Bei jener Flechte mit dem feuchtigkeitabsorbierenden Bakterium, auf die er, Chester und Cal gestoßen waren. Raffiniert! Wenn ein Hund die Flechte durch die Nase einzog, trocknete das Bakterium die Nasenschleimhaut aus und versengte sie sehr wahrscheinlich. Will musste lachen. Ohne ihren Spürsinn waren die Hunde nutzlos!
    Atemlos rannten die beiden weiter. Plötzlich stolperte Will, stürzte und schlug sich das Kinn auf dem harten Untergrund auf. Elliott half ihm hoch, und während der Junge sich schnaufend gegen die Wand lehnte, verlegte sie rasend schnell eine Sprengladung quer durch den Tunnel.
    Sekunden später war sie wieder auf den Beinen und schrie ihm zu weiterzulaufen.

35
    »Was ist das für ein Geräusch?«, flüsterte Chester.
    Cal und er blinzelten in die Dunkelheit und lauschten angestrengt.
    »Es wird immer lauter«, sagte Chester. »Klingt fast wie ein Motor.«
    »Pst, sei doch mal still!«, murmelte Cal nervös.
    Erneut spitzten beide die Ohren, während das Geräusch andauerte.
    »Ich kann nicht sagen, ob es weit entfernt ist oder vielleicht ganz nah«, meinte Chester schließlich verwirrt.
    »Ich glaube, es bewegt sich um uns herum«, sagte Cal mit gesenkter Stimme.
    Plötzlich nahm das Geräusch schlagartig zu und verstummte danach völlig.
    Sekundenbruchteile später stieß Chester einen unterdrückten Schrei aus.
    »Schnell, Cal!«, quietschte er verzweifelt. »Schalt deine Lampe an!«
    »Nein. Schalt du doch deine Lampe an«, erwiderte Cal. »Elliott hat gesagt, wir sollen kein Licht …«
    »Jetzt mach endlich!«, fauchte Chester. »DA IST IRGENDETWAS AUF MEINEM ARM! ICH KANN ES FÜHLEN!«
    Das genügte Cal: Er schnappte sich seine Lampe und richtete ihr Licht auf Chester.
    »Oh mein Gott! Was ist das?«, heulte Chester auf und bewegte den Arm langsam von seinem Körper fort, den Ausdruck puren Entsetzens im Gesicht.
    Etwas krallte sich mit den Beinen an seinem Unterarm fest. Das Wesen besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Libelle, da es ebenfalls zwei Paar hauchdünne Flügel hatte, die im Schein der Lampe schillerten. Doch das war auch schon das Attraktivste an diesem Wesen: Der Rumpf, der vom Kopf bis zum Schwanz etwa fünfzehn Zentimeter maß, war mit einem staubigen erdbraunen Pelz besetzt und unterhalb der beiden kugeligen Facettenaugen von der Größe halbierter Murmeln saßen zwei schaurige Stechrüssel. Das hintere Ende des langen Unterleibs war mit einem heimtückischen, nach oben gewölbten Widerhaken bestückt, so als ob ihm ein Skorpionstachel implantiert worden wäre. Man hätte sich kaum eine noch diabolischere und furchteinflößendere Kreatur vorstellen können.
    »Mach es weg!«, stieß Chester zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versuchte, jegliche hektischen Bewegungen zu vermeiden, um das Insekt nicht zu provozieren.
    Obwohl er den Arm so weit wie möglich von sich fernhielt, wölbte das Wesen seinen Schwanzstachel, als wollte es ihn ins Gesicht stechen.
    »Wie denn? Was soll ich denn tun?«, fragte Cal. Die Lampe in seiner Hand zitterte, während er