Turils Reise
glaubte, ihm dadurch entkommen zu können. Sie irrte sich. Auch mathematische Formelwerte, binäre Einheiten, antizipative Theoreme, quantenmechanische Konstrukte oder schlichte
Schaltbilder konnten so etwas wie Schmerz empfinden. Er würde Mittel und Wege finden, ihre innere Logik zu zerstören, sie ad absurdum zu führen und in eine Spirale der Unlogik zu treiben. Gleichungen und Gleichnisse - Mathematik und Philosophie - waren niemals weit voneinander entfernt gewesen.
Die Leiber von Licht und Schatten zogen sich zusammen, wurden zu runzligen, blutleeren Gestalten, um im nächsten Moment plump wie Ballons zu wirken. Immer noch steckten sie in der Wand fest. Turil brachte ihnen bei, was Panik und Hyperventilation war. Sie reagierten augenblicklich, nach wie vor in dieser seltsamen Fast-Stasis gefangen.
»Fühlst du mit ihnen?«, rief er. »Erfährst du, was sie erfahren?« Er lachte, redete sich immer weiter in Rage. »Ich kann den Austausch zwischen ihnen und dir jederzeit verstärken - und glaube nur ja nicht, dass ich irgendwelche Skrupel empfinde! Ich pfeife auf dieses uralte Abkommen zwischen Schiffssphären und ihren Lenkern. Ich bin Queresma! Totengräber und Kitar, Beobachter und Henker zugleich! Für mich gelten eure albernen Vereinbarungen nicht, ich bin weit mehr, als du jemals ertragen könntest, du minderwertiges, primitives Rechengeschöpf ohne Seele …«
Nur mühsam brachte Turil sich wieder unter Kontrolle. Rings um ihn dröhnte, sirrte und summte es. Die Hülle der Schiffssphäre drohte zu platzen, zu explodieren. Er hatte sich viel zu sehr gehenlassen, hatte das Spiel zu weit getrieben. Auch die beiden Xeniathen beobachteten ihn mit angstvollen Mienen, in denen die Sparten in rasendem Tempo wechselten.
»Hör auf! Bitte!«, hörte er die winselnde, weinerliche Stimme der GELFAR. »Du hast gewonnen! Ich tue, was immer du befiehlst!«
Turil nahm den Druck, den er vermittels des Zeremonienmantels entwickelt hatte, ein wenig zurück. »Dir ist nicht zu trauen«, sagte er, »und du verdienst keine Gnade. Du wirst dich während der nächsten Tage beweisen müssen. Und alles, was du dir verdienen kannst, ist ein Tod ohne Schmerzen. Deine Existenz wird in jedem Fall enden. Hast du mich verstanden?«
»Ich habe verstanden, Herr«, wisperte die GELFAR.
Turil setzte sich auf einen Stuhl, den er aus Formenergie gestaltete, und bat seine beiden Gäste, es sich ebenfalls bequem zu machen. Er hatte einen Sieg errungen, den er sich selbst in seinen kühnsten Träumen nicht so einfach vorgestellt hätte. In ihm schlummerten Kräfte, die aus einer der mächtigsten Schiffssphären ein jammerndes, elendes Geschöpf machten. Nichts und niemand konnte ihn aufhalten, wenn er nun nach den Spuren seines Volkes suchte. Nichts und niemand - außer seinem Gewissen.
24 - KIX KARAMBUIS WAHNSINN
Der Sekretär ARMIDORNs nahm die Nachrichten seiner beiden Xeniathen zufrieden zur Kenntnis. Die Umstände ihres Erfolges waren bemerkenswert, und der Nutzen dieses Turil - oder Queresma - würde sich bald erweisen. Vordergründig ging es Kix Karambui darum, einen Erfolg einzufahren. Die Kitar mussten gestoppt und bis auf den letzten Mann vernichtet werden.
»Ofenau und Sorollo funktionieren ausgezeichnet«, sagte er und hob seinen Bruder Kix Kosandrai ein wenig aus dessen Lagerschüssel empor. Er verabreichte ihm einen energetischen Partikelschub, der ihn für seine Worte empfänglicher machen würde. Bei regelmäßiger Anwendung machte der Schauder süchtig, wie Kix Karambui wusste, und die Entzugserscheinungen wurden umso schrecklicher, je länger die Sucht anhielt.
Kosandrai schüttelte sich, wollte sich aus der Lagerschale befreien, so wie immer. Seine Reaktionen waren derb und vorhersehbar. Manchmal ließen sie Karambui am Savoir-Status seines Bruders zweifeln.
»Was willst du von mir hören?«, ächzte Kosandrai.
»Ich erwarte eine Bestätigung. Streicheleinheiten. Und vor allem deine Unterwürfigkeit.« Er tätschelte das rostig gewordene Körperblech seines Bruders und ertastete den
Spannungsregulator. Er schloss ihn kurz, nur für einen gefühlten Augenblick, und genoss das Gefühl der Macht. Er alleine entschied, ob dieses unendlich wertvolle Maschinending lebte oder starb. Er war Gott. Ein Gott, der seine Geschöpfe jederzeit ins Leben zurückrufen konnte und dessen Macht sich keinesfalls nur auf Androidenwesen beschränkte.
»Du bist wahnsinnig!«, sagte Kix Kosandrai, »und du warst es immer
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