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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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ihm gelang, fühlte Turil sich stärker und selbstbewusster. Bald musste er nicht mehr lange über die Defensivmaßnahmen nachdenken. Sie wurden zu Teilen seines Seins, komplex zwar, und dennoch so einfach zu kontrollieren. Die Abwehr gegen den Zeremonienmantel war bald so selbstverständlich wie ein Atemzug oder ein Ausweichen vor Hindernissen.
    Turil beendete die Auseinandersetzung mit einem kräftigen Gedankenbefehl an das Kleidungsstück. Augenblicklich erschlafften die Bewegungen seines Gegners. Der Zeremonienmantel ergab sich in Resignation und Demut. Er erkannte ihn, den Thanatologen, als seinen Meister an.
    Turil sah sich um. Ofenau und Sorollo starrten ihn an. Interessiert, vielleicht auch ein wenig verängstigt.
    »Ich bin in Ordnung«, ließ er sie wissen. »Der Mantel und auch die GELFAR können mir nichts mehr anhaben. Folgt mir.«
    Er betrat die Rampe und kehrte in seine Schiffssphäre zurück.
     
    Die GELFAR versuchte es nochmals. Mehrmals. Mit Frontalangriffen, durch subtile Einflüsterungen, mit Hilfe psychologischer Kriegsführung oder durch eine neuerliche Infiltration seines Körpers. Licht und Schatten gaben sich als furchterregende Schimären. Sie brüllten ihn an, prügelten
auf ihn ein, spuckten in seine Richtung - der Auswurf wurde zu winzigen, raketengleichen Geschossen, die seinen Körper zu durchdringen versuchten -, hetzten ganze Armeen künstlicher Bakterien auf ihn, malträtierten seine Psyche auf jede erdenkliche Art und Weise. Licht versuchte es auf weinerliche Art und Weise, und dann mit eindeutigen Angeboten, während Schatten wie immer die Rolle des Finsterlings übernahm.
    »Hört auf!«, befahl Turil. Mit einem Wink seiner Hand schleuderte er die beiden Beinahe-Wesen beiseite. Sie prallten gegen die mannsgroße Skulptur eines polypenarmigen Totengottes und fegten ihn von seinem Podest. Die unschätzbar wertvolle Porzellanfigur zerschellte auf dem Boden. Für einen Augenblick wuselte es, als all die Informationszuträger der GELFAR, ihres Versteckes im Inneren der Skulptur beraubt, nach neuer Deckung suchten. Licht und Schatten indes wurden wie magisch von der dahinter liegenden Wand des Reflektoriums angezogen. Sie sanken darin ein, verschmolzen mit ihr und erstarrten dann, Statuen gleich, mit schreckverzerrten Mienen.
    Turil lächelte. »Ich weiß alles über den Zeremonienmantel, GELFAR«, sagte er laut. »Ich werde seine Möglichkeiten bis zum Letzten ausreizen. Und weißt du, zu welchem Zweck?« Er wartete keine Antwort ab. »Ich werde Licht und Schatten lehren, wirklich zu empfinden. Ich werde sie so weit sensibilisieren, dass sie beim Anblick von Schönheit zu weinen und beim kleinsten Kratzer auf ihrer virtuellen Haut zu schreien beginnen. Und dann füge ich ihnen Schmerzen zu. Sie haben mir jahrelang erklärt, wie armselig und schwach ich bin. Sie haben mich gedemütigt, wollten mich in den Wahnsinn treiben. All dies sollen sie nun am eigenen Leib erfahren.«

    »Du bist lächerlich, Turil«, sagte die GELFAR. »Denkst du denn, es interessiert mich, was du mit diesen Geschöpfen anstellst? Ich kann sie jederzeit vernichten und neue Helfer anfertigen.«
    Die Schiffssphäre klang amüsiert, und dennoch: Der Totengräber machte einen geringen Hauch von Unsicherheit in ihrer Stimme aus.
    »Wir werden sehen«, sagte Turil. Der Zeremonienmantel gehorchte ihm anstandslos; er kappte die letzten Schnittstellen zwischen der Schiffssphäre und ihren beiden Helfern. Unsichtbare Bänder zerrissen. »Du wirst zusehen müssen, wie und auf welche Weise ich mir Licht und Schatten vornehme.« Die beiden Gestalten begannen zu brennen, in einem grünen und kühlen Feuer. Sie erwachten, nach wie vor mit der Wand verbacken, zu einem zeitlupenhaften Leben und versuchten sich zu befreien. Ihre Schreie ertönten knapp unter der Hörschwelle, doch Turil war sicher, dass die GELFAR die Intensität der Empfindungen ihrer beiden Geschöpfe deutlich wahrnehmen konnte. »Ich werde ihre Schmerzbilder speichern und sie dir vorspielen«, sagte Turil. »Immer wieder. Wenn dir das noch nicht genug ist, ziehe ich neue Wesenheiten aus dir und foltere sie ebenfalls. Dutzende von ihnen, vielleicht auch Hunderte. Es ist mir einerlei. In mir ist so viel Lust auf Rache, dass ich jahrelang weitermachen könnte, bevor mir der Spaß an der Sache vergeht.«
    Die GELFAR schwieg. Sie hatte sich, wie Turil mit Hilfe des Zeremonienmantels feststellte, auf einen rein rechnerischen Status ihres Daseins zurückgezogen. Sie

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