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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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war. »Was … wo …?«
    »Sicherlich gibt es noch andere interessante Orte auf Domiendram? Ich möchte unsere Tour fortsetzen. Sofort.«
    Das Fünkchen brauchte einige Momente, um seine Überraschung zu überwinden. »Ich schlage vor, dass wir uns die Wandernden Seewälder von Trophain ansehen«, sagte es zögernd, »und danach einer Nachtpredigt der Südvölker beiwohnen. Ihre spirituellen Rituale werden dir gefallen und einen tiefen Einblick in das Seelenleben der Domiendramer geben.«
    »Wie spannend.« Turil unterdrückte ein Gähnen. Er warf einen letzten Blick auf den Eikörper. Das Fünkchen konnte ihn nicht sehen. Er war aus dessen Gesichtsfeld ausgespart. Das Orakel wusste sich wirkungsvoll gegen die Entdeckung durch Maschinenwesen zu schützen. »Lass uns gehen«, sagte der Thanatologe. »Dieser Ort ödet mich an.«

3 - DIE TÖTUNGSZEREMONIE
    Das Hofkastell glitzerte und glänzte im prallen Sonnenlicht. Die Dächer und Mauern waren bedeckt von semiintelligenten Mikrokristallen, die Turil hatte ausstreuen lassen. Im Laufe des Rituals würden sie sich mehrmals umstrukturieren und in stroboskopartigen Bildern Botschaften von Glück und Zuversicht übermitteln, die sich unweigerlich in die Erinnerungen der Domiendramer einbrennen würden.
    Mehrere zehntausend Planetenbewohner hatten sich auf der Freitreppe des Hofkastells versammelt; riesige Schwebeschirme übertrugen das Zeremoniell auf die Freilichtbühnen aller größeren Luftwurzeln der Stadt, des Landes, des gesamten Planeten. Überall rieben Domiendramer die weichen Fingerblätter ihrer Tastarme gegeneinander. Weltweit wollten mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung zusehen, wie Pramain hingerichtet wurde. Nur die Kranken, die Siechen, die ganz Alten und die ganz Jungen sowie jene, die an ihren Arbeitsplätzen unabkömmlich waren, würden nicht an der Ermordung des Götzlichen teilhaben können.
    Turil zog den Zeremonienmantel enger. Er hatte ihn in silbern schimmernde Lichtfarbe getaucht. Der Saum war mit wertvollen Pretiosen besetzt; Stickmuster aus teuerstem Kaublumengarn, das er in domiendramischen Manufakturen erworben hatte, zeichneten schillernde Bilder auf
die Ärmel; immer wieder sprossen kleinste Blüten aus den Webkeimen. So rasch wie sie wuchsen, vergingen sie auch wieder.
    Turil wusste sich von mehreren Dutzend Schwebekameras beobachtet. Sie würden jedes Detail seiner Kleidung festhalten und analysieren, genauso wie seine Gesten, seine Bewegungen, seine Körperhaltung und seine Worte Inhalt endloser Analysen sein würden. Sein Part als Zeremonienmeister, Henker und Totengräber war fast so bedeutend wie jener des Götzlichen und der Hofdamen.
    Der offizielle Akt erlaubte ihm nicht besonders viel Freiraum. Einzig die Anwesenheit des sterbenden Fünkchens hatte sich Turil ausbedungen. Das Kunstgeschöpf, das ihm während der letzten Stunden entgegen seiner Befürchtungen ausgezeichnete Dienste geleistet hatte, ruhte auf einem satinroten Polster, unmittelbar neben seinem Arbeitsplatz. Der Oberkörper leuchtete schwach; die schlanken Beine waren steif geworden, im winzigen Gesicht zeigten sich ungesund wirkende Flecken. Das Fünkchen hatte sich diesen Ehrenplatz verdient, das Zuchtlicht würde zufrieden mit ihm sein.
    Der Totengräber verinnerlichte die Arbeit, die vor ihm lag. Er musste mehrere hundert Punkte jener Liste abarbeiten, die ihm vorgestern überreicht worden war. Die domiendramischen Hofdamen erwarteten nicht weniger als absolute Perfektion. Nur dann würden sie jene Emotionen in sich aufbauen, die für die Erneuerung ihres Volkes vonnöten waren.
    Trommelwirbel setzte ein. Breit gebaute Dromiendamer, jugendlich und noch kaum mit Trieben bedeckt, hieben mit fellbesetzten Stöcken gegen ihre nackten und makellosen Körper. Sie verwendeten einen alten, archaisch anmutenden
Rhythmus, der das Volk packte und zu tänzelnden Bewegungen zwang. Turil wagte einen kurzen Blick über die wogenden Massen. Er sah die Ergriffenheit in den Gesichtern der Zuschauer, ihre lauernde Erwartungshaltung, ihre Gier. Er musste um alles in der Welt darauf achten, den richtigen Ton zu finden. Wenn ihm die Kontrolle über das Zeremoniell entglitt, mochte das schreckliche Folgen zeitigen. Millionen von Domiendramer würden übereinander herfallen, sich Rinden und Blätter von den Leibern reißen …
    Turil begann. Er hob beide Arme, streute mit einem Fingerschnippen zusätzliche Tonböller aus, die sich dem Rhythmus der Trommler anpassten und eine auf

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