Turils Reise
offiziellen Anlässen getan hatte. Doch immer wieder empfand er unerklärlichen Widerwillen gegen diese Form einer Bluttat. Er fühlte keine
Angst und auch keinerlei moralische Bedenken. Aber es … es machte keinen Spaß.
Die Trommler hatten ihre Arbeit wiederaufgenommen. Noch intensiver, noch peitschender klang der Rhythmus nun. Domiendramische Kinder kamen aus dem Himmel herabgeschwebt. Von langen, nahezu unsichtbaren Seilen gehalten, verrenkten sie ihre Glieder zu bizarren Mustern und Bildern. Sie vollführten Pirouetten und wilde Luftsprünge, überschlugen sich. Sie arbeiteten im Duett oder fanden sich in großen Kreisen zusammen, formierten Zweier-und Dreierreihen. Turil nickte zufrieden. Die Kleinen hingen wie Marionetten an den Schnüren, die von geschickt in Position gebrachten Flugschiffchen gelenkt wurden. Sie bewegten sich so, wie er es sich wünschte. Die Ahs und Ohs aus dem Publikum bewiesen ihm, wie sehr er mit seiner überraschenden Einlage den Geschmack der Domiendramer getroffen hatte. Der Totentanz war Bestandteil vieler Kulturen. Er hatte mitnichten einen morbiden Beigeschmack, ganz im Gegenteil. Und weil die Vorführung in der Luft stattfand, in einem Element, dem die Domiendramer äußerst misstrauisch gegenüberstanden, erregte er umso mehr Aufmerksamkeit.
Die Hofdamen waren längst aufgesprungen. Sie wanden sich in Ekstase, stellten ihre Geilheit offen zur Schau. Nicht mehr lange, und sie würden über Pramain herfallen und seinen Körper zwischen ihren sorgfältig angespitzten Astfingern zerreißen. Turil musste dafür sorgen, dass der Götzliche bis dahin das Zeitliche gesegnet hatte. In den ausführlichen Dossiers über diese Frauen Pramains, die als Einzige ihres Volkes fruchtbar waren, stand vielfach geschrieben, welche unglaublichen Schmerzen sie bereiten konnten, wenn sie ihren Herrscher noch vor dessen Tod in die Klauen bekamen.
Turil sandte das vorbereitete Signal an die GELFAR. Er hatte lange genug gewartet und auf natürlichen Regenfall gehofft. Angesichts des zunehmend unkontrollierten Verhaltens der Hofdamen erschien ihm jede weitere Verzögerung als zu gefährlich. Also befahl er das Schiff in die Stratosphäre, damit es seine Saat ausstreute. Einfache chemische Reaktionen würden den erhofften Regenfall herbeiführen und damit den Höhepunkt des Rituals erzwingen.
»Pramain ist bereit!«, rief Turil mit tragender Stimme. »Sein Schicksal ist unser Schicksal. Aus Leben wird Tod, aus totem Gewebe erwächst Neues. So wollen es die Götter, so ist der Lauf des Lebens. Wir alle bedauern dich, Pramain, und wir werden deinen Namen voll Dankbarkeit nennen, wenn die Früchte deines Fleisches in den Leibern der Hofdamen heranblühen. Du stirbst und schenkst uns Erneuerung. Pramain, wir danken dir!«
»Pramain, wir danken dir!«, wiederholten zigtausend Domiendramer.
Ein Blitz, gewaltig und vielfach verästelt, zerteilte das Firmament. In der Ferne donnerte es. Die GELFAR hatte ihre Arbeit aufgenommen. Turil hob das Messer und trat durch den Kosmetikschirm ganz nahe an Pramain heran. Ein vereinzelter Lichtstrahl spiegelte sich im Stahl der Klinge.
»Wir nehmen dein Opfer an. Pramain, wir danken dir.«
»Pramain, wir danken dir!«
Scheiß-Pathos, dachte Turil angewidert, Scheiß-Sensationslust! Warum müssen die Tötungszeremonien an Hohen Herrschaften immer derart ausarten? Pramains Ermordung könnte genauso gut in einem stillen Hinterzimmer seines Hofkastells stattfinden, abseits von all diesen Gaffern.
Er aktivierte zusätzliche Prallfelder. Sie fingen den Götzlichen
wie in einer Zwinge ein. Turil tastete nach jener Körperöffnung in dessen Leibesmitte, einem scheinbaren Astloch, zog es sachte auseinander und betrachtete sorgfältig das darunterliegende, nur wenig geschützte Organ, das dem Herzen eines Humanes entsprach. Es ähnelte übereinanderliegenden Membranschichten, die erschlafften und sich ausdehnten, immer wieder, in raschem Rhythmus.
»Bitte!«, flüsterte Pramain, »bitte, lass mich leben! Ich habe Angst. Ich will es nicht, ich kann es nicht …«
Die Tonübertragung nach draußen war unterbrochen, das Kosmetikfeld zeigte nach wie vor nur das, was gezeigt werden sollte: einen strahlenden Herrscher, der den Tod freudig erregt herbeisehnte. Turil zögerte. Sie hatten ein paar Momente für sich alleine. »Es ist dein Schicksal«, sagte er eindringlich. »Seit deiner Krönung wurdest du auf dieses Zeremoniell vorbereitet. Verweigere es deinen Landsleuten
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