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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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einem Refrakto nach dem anderen Auskünfte zu erteilen, damit sich sein künstliches Bewusstsein erleichtert fühlt …
    »Ich danke dir.« Der Refrakto nickte zufrieden. »Ich vermute, dass ich meine Existenz beenden darf, sobald ich ihren Sinn erkannt habe. Und ich sehne diesen Augenblick seit Jahrtausenden herbei.«
     
    Der Datentransfer aus den Speichern des Hologrammwesens zu einem rasch aktivierten Datenhaar verlief unspektakulär. Viele der Gedächtnisordner waren korrumpiert oder zerstört, andere zeigten Symptome von KI-spezifischen Psychosen. Eine weitere, tiefgreifendere Analyse des Materials würde er seinem Schiff überlassen. Die GELFAR freute sich sicherlich über zusätzliche Beschäftigung.

    »Ich bin fertig«, sagte Turil. Er rollte das aus sich gegenseitig umwindenden Nanoketten bestehende Datenhaar auf die Hauptspule und markierte es so, dass es bei seiner Rückkehr zur GELFAR selbsttätig den Weg in das Zerebral des Schiffs suchen würde. »Hast du noch etwas zu sagen? Ich muss dich jetzt verlassen. Mir bleiben nur wenige Stunden, um mir ausreichend Eindrücke über das Leben der Domiendramer zu verschaffen.«
    »Ich könnte dir erzählen, wer und was sie sind …«
    »Nein danke. Ich muss selbst sehen und spüren, um zu verstehen.«
    Eine Pause entstand. Der alte Mann zögerte. Irgendetwas lag ihm auf dem Herzen. »Ich möchte gerne mit dir kommen. Ich könnte dich unterhalten, wäre dir ein ernsthafter Gesprächspartner.«
    »Abgelehnt. Ich habe ausreichend Gesellschaft an Bord meines Schiffs. Angenehme und unangenehme, interessante und langweilige.«
    »Aber ich besitze ein besonderes Wissen!« Der Alte schrie fast, sehnsüchtig und verzweifelt. »Ich habe viel gelernt, während ich wartete. Ich kann aus nur wenigen Informationen Extrapolationen erstellen und dir deine Zukunft voraussagen.«
    Da waren sie, die Anzeichen beginnenden Wahnsinns, der Selbstüberschätzung und Fehlinterpretation der eigenen Fähigkeiten. Der Refrakto zeigte die gleichen Schwächen wie all die anderen seiner Art, denen Turil begegnet war oder von denen er gehört hatte. Zuerst drohten, dann flehten und bettelten sie. »Du bist schlau, zweifelsohne«, sagte der Thanatologe vorsichtig. »Aber ich bezweifle, dass du irgendetwas weißt, das für mich von Interesse sein könnte.«

    »Domiendram steht ihm Fokus einer besonderen, einer grausamen Macht!«, prophezeite der Alte mit tremolierender Stimme. Er hob beide Arme, immer höher, wuchs selbst bis zur Decke empor. Dann fiel er in sein altes Verhaltensmuster zurück, besann sich seiner Rolle als Orakel. »Auch du, mein Freund, wirst in naher Zukunft in eine Rolle gedrängt werden, die dich zwingt, Entscheidungen zu treffen, die dein ganzes Volk zu verschlingen drohen. Es mag sein, dass dies alles beginnt, noch bevor die Tötungszeremonie für Pramain den Götzlichen vorüber ist. Du solltest dich hüten, Totengräber, hüten …«
    »Aus!«, schnitt ihm Turil das Wort ab. »Du langweilst mich mit deinem Geschwafel. Ich habe genug gehört.«
    »Warte! Ich … ich …«
    Eine weitere Pause entstand. Die Ungeduld im Thanatologen wuchs. Er verlor Zeit. Zeit, die er nicht hatte. Was wollte ihm der Refrakto sagen? Warum erlosch er nicht und zog sich in sein Innerstes zurück, in diesen fast verrotteten Kapselkörper?
    »Hältst du für richtig, was ich hier mache?«, fragte das Hologrammwesen schließlich leise. »Meinst du, dass meine Existenz irgendeine Bedeutung besitzt?«
    Zorn wallte in Turil hoch - und gleichzeitig ein Hauch von Angst. »Ich bin der Letzte, dem du diese Frage stellen solltest«, antwortete er leise. »Denn ich kann sie nicht einmal für mich selbst beantworten.«
    Der Greis nickte traurig und winkte Turil zum Abschluss zu. Der Refrakto erlosch von einem Moment zum nächsten; eine nur vom Leuchten der Wurzeln durchbrochene Dunkelheit umfing Turil. Die Wirklichkeit hatte ihn wieder. Das Fünkchen, bis zu diesem Moment in Stasis gefangen, flatterte auf ihn zu.

    »… beleidige das Orakel unter keinen Umständen!«, vollendete das kleine Geschöpf einen Satz, den es vor mehr als einer Stunde begonnen hatte. »Es reagiert manchmal sehr ungehalten.«
    »Danke für die Warnung - aber ich habe gesehen, was ich sehen wollte. Wir können an die Oberfläche zurückkehren.«
    Das Fünkchen schaute sich irritiert um. Erst jetzt schien es zu registrieren, dass sich seine Umgebung geändert hatte, dass das riesige, von Karakähen umschwirrte Gesicht verschwunden

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