Turils Reise
nicht.«
»Es ist mir dungegal, was die anderen von mir erwarten!«, fluchte Pramain. »Ich will leben, hörst du? Ich hänge an meiner Existenz, so sehr, so sehr …« Er bäumte sich auf, kämpfte gegen die unsichtbaren, erbarmungslosen Fesselfelder an, wollte seine Bodenwurzeln mit aller Kraft aus dem Boden ziehen, in dem er seit vielen Jahren verankert war.
»Ich verspreche dir, dass du keine Schmerzen haben wirst«, beruhigte ihn Turil. »Du wirst einschlafen, vielleicht von einem wunderschönen Traum begleitet. Alles wird so sein wie an einem beliebigen Abend, mit dem einzigen Unterschied, dass du nicht mehr aufwachst …«
Er drang nicht mehr zu Pramain durch. Der Körper des Götzlichen bäumte sich zitternd auf, er spuckte und schrie, immer wieder, wandte alle in seinem harzfeisten Leib verbliebenen
Kräfte auf, um dem Griff einer erbarmungslosen Maschinerie zu entkommen.
Turil blieb nicht mehr viel Zeit. Erste Regenschauer prasselten auf die versammelten Domiendramer nieder. Die Hofdamen hatten sich längst an den Absperrungen der Ehrentribüne versammelt. Sobald der Totengräber zustach, würden sie nicht mehr zu halten sein und um das Privileg kämpfen, als Erste den Götzlichen abzusamen. Nicht nur, um Ruhm und Ehre einzuheimsen, sondern auch, weil die Qualität des königlichen Samenstaubs mit jeder Begattung sank.
»Empfangt euren hingebungsvollsten Diener, ihr Götter!«, rief Turil, nachdem er die Tonsperre aufgehoben hatte. »Schenkt ihm eure Gnade, nehmt ihn in Ehren im Ewigen Wurzelreich auf …«
Es war so weit. Er musste es hinter sich bringen, dieses verholzte und von Tränen völlig verklebte Häuflein Elend töten. Er durfte sich nicht von dessen lächerlicher Furcht und diesen verfluchten Anwandlungen von Mitleid irritieren lassen, musste seine Pflicht erfüllen. Turil packte das Zeremonienmesser mit beiden Händen, visierte sein Ziel an und …
Alarmgetrommel wurde laut, die in wilder Ekstase den Tod ihres Herrschers fordernden Domiendramer verstummten.
»Generalalarm!«, rief irgendwer, irgendwo. »Wir werden angegriffen!«
Am liebsten hätte Turil vor Erleichterung gelacht, als er sich neben dem todgeweihten Pramain hinsetzte und zusah, wie sich Freude und Wollust der Domiendramer binnen weniger Sekunden in Angst und Schrecken verwandelten.
Die Hofdamen unternahmen alles, um ihre erhitzten Gemüter zu beruhigen und den vorneweg staksenden Hofschranzen hinauf zu den Eingängen der Burg folgen zu können. Im Gegensatz zu den Angehörigen des Herrscherhauses, die offen Panik zur Schau stellten, zogen die großen Massen der Zuschauer friedlich und ruhig ab. Ihre Köpfe, im Takt der gleichmäßigen Schritte hoch-und niederwogend, erinnerten an Wellen des Ozeans, während sie im stärker werdenden Regen die Freitreppen hinabstiegen. Sie berührten einander, wiesen sich gegenseitig den Weg und sorgten dafür, dass niemand, auch nicht die Kleinsten und Jüngsten unter ihnen, niedergetrampelt wurde. Turil beobachtete aufmerksam. Er spürte keine Angst, sondern Neugierde. Er wusste die GELFAR in unmittelbarer Nähe. Sicherlich sammelte das Schiff bereits Informationen; in Kürze würde es ihn über die Hintergründe des Alarms informieren. Was auch immer geschehen war - ob es sich um eine offene Rebellion radikaler Fortschrittlicher gegen das Herrscherhaus handelte, oder ob außerplanetarische Invasoren ihre Aufwartung machten - niemand würde es wagen, sich an einem Totengräber zu vergehen. Er galt wie alle Angehörigen seines Volkes als tabu.
Niemand darf uns Schmerz zufügen. Dafür benötigen wir niemand anderen als uns selbst …
Ein Hofschranze, der das Tötungszeremoniell auf der Ehrentribüne verschlafen hatte, hob eben erst den Kopf aus dem verschränkten Armgeäst, das einem Nest ähnelte. Der feiste Domiendramer benötigte einige Zeit, um zu sich zu kommen und das Alarmgetrommel gedanklich zu verarbeiten. Seine Bewegungen wirkten langsam und unkoordiniert. Umständlich stemmte er sich hoch, zog seine Ruhewurzeln aus dem gepressten Boden und wankte dann mit
gehöriger Verspätung seinen Kollegen hinterher, auf den Eingang des Hofkastells zu. Bewaffnete versammelten sich dort in grasgrünen Schutzanzügen. Argwöhnisch verfolgten sie den Rückzug der Zuschauer, die Wurzelfinger stets an den Waffenabzügen.
Turil versperrte dem Hofschranzen den Weg. »Was soll mit eurem König geschehen?«, fragte er und deutete auf das Häuflein aus Holz und Elend, das nach wie vor mit
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