Turils Reise
die Höhepunkte des Geschlechtsaktes im Gate-Modus zu zelebrieren.
Es war keine Liebe und auch kaum Leidenschaft im Spiel. Sie erfüllten den jeweiligen Part eines stillen Übereinkommens, um ihre körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen.
Ihre Partnerschaft hatte in der Tat viele Facetten; Ofenau wusste nicht, wie viele davon fremdgesteuert und wie viele selbstbestimmt waren.
7 - DER DUNKLE WEG IN DIE VERGANGENHEIT
Turil schob den Besuch beim Schiffsgehirn Momed auf. Er fühlte sich unwohl, benötigte Ruhe und Schlaf - so sehr ihm auch davor graute. Denn der Schlaf an Bord der GELFAR brachte Träume mit sich, und Träume vermied er, soweit es ging. Sie weckten Erinnerungen in ihm, die er sich meist nicht erklären konnte.
Er legte sich auf den Boden des Schlafraums, den Körper mit einer frischen, nach Blumen duftenden Plane bedeckt, und hoffte, heute von Albträumen verschont zu bleiben. Er blickte sich noch einmal um, bevor er die Augen schloss. Das Zimmer war leer. Es gab nichts, das Schatten warf oder Deckung bot. Er fühlte sich unendlich müde, konnte das Unvermeidbare nicht weiter hinauszögern. Die vielen Gespräche mit den Bordgeschöpfen und der GELFAR selbst forderten ihren Tribut. Er musste es hinter sich bringen, musste seiner Physis die Möglichkeit geben, sich zu erholen. Die Schmerzen im Kiefer ließen nach, die Zahnleisten entspannten sich, und er glitt wie von selbst in jenes Reich der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit, vor dem er sich so sehr fürchtete.
Augenblicklich begannen die Träume. Da war Pschoim, sein Vater. Überlebensgroß, mit Augen so tief wie das All. Er wartete, so wie immer, in dickes und schwarzes Tuch gehüllt, das ihn vor dem dunklen Hintergrund der Traumschwelle fast unsichtbar werden ließ.
»Du warst ungezogen«, grollte Pschoim und packte ihn grob bei der Hand. »Wieder einmal, du missratenes Balg. Du hast eine Lektion verdient, die du deinen Lebtag lang nicht vergessen wirst!«
»Nein!«, murmelte Turil, obwohl er wusste, dass jeglicher Widerstand zwecklos war. Er wurde in den unbarmherzigen Sog eines Traumgespinstes gezogen, aus dem es kein Entkommen gab, bis er gesehen und erlebt hatte, was es zu sehen und zu erleben gab.
»Du warst und bist eine einzige Enttäuschung für mich, Sohn.« Pschoim zerrte ihn tiefer in das Reich jenseits des Bewussten. »Du lieferst miserable Arbeit ab, die Toten beschweren sich bei mir, die GELFAR beschwert sich bei mir.« Vater riss an seiner Hand, brutal und ohne Erbarmen.
Schreckensgestalten näherten sich von allen Seiten. Tote und Sterbende, die er als Klienten betreut hatte und die ihn nun anklagend anblickten. Sie machten ihm Vorwürfe, riefen ihm Schmähungen zu. Vater winkte sie ungeduldig zur Seite, die Schimären wichen ehrerbietig vor ihm zurück. Wohl wissend, dass sie ein anderes Mal zu ihrem Recht kommen und Turil drangsalieren durften.
Tore öffneten sich, eines nach dem anderen. Sie gaben schreckliche Geheimnisse preis, die Turil längst vergessen und verdrängt hatte. Wo würde Vater heute stehenbleiben? Welcher Albtraum wartete auf ihn, welche leidvollen Erinnerungen musste er heute durchspielen, um irgendwann schweißgebadet aufzuwachen? Licht und Schatten
würden auf ihn warten, von der GELFAR gerufen, weil die Schiffs-KI seine katastrophalen Vitalwerte zum Anlass nahm, ihn neuerlich zu einem »klärenden Gespräch« mit den beiden Psycho-Betreuern zu zwingen.
Da war ein Tor mit den Erinnerungen an seinen zehnten Geburtstag. Kakari, die stets distanziert wirkende Mutter, hatte ihm erstmals den Zeremonienmantel umgelegt und unter rituellem Gesang die Halterungen in seinen Schulterblättern verankert …
Hinter dem nächsten Tor fand sich der kleine Vaump. Sein Haustier, das Pschoim mit einem Nervengift getötet hatte, weil es den Kinderbereich der GELFAR verlassen hatte und in seine Arbeitssphäre vorgedrungen war. Vaump jaulte und sabberte und spuckte Blut. Minutenlang, stundenlang.
Hinter einer dritten Tür lauerten die Teilnehmer eines Großen Thang, einer Vollversammlung der Totengräber. Turils Erinnerungen waren schemenhaft, doch sie beinhalteten immer größer werdende Schmerzen, die sich durch alle seine Glieder zogen.
Eine vierte Pforte. Hinter ihr wartete Nochoi, der Vater seiner Braut Zarata. Er warf ihm abschätzige Blicke zu. Pschoim hatte die Verlobung der beiden Totengräber eingefädelt und bestimmt, dass die Hochzeit während eines der beiden nächsten Großen Thangs stattfinden
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