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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Ausrichtung eines pompösen Zeremoniells herangezogen werden sollten. Nicht mehr, nicht weniger.
    Turil stockte. Er zögerte, trat einen Schritt beiseite. Ein Choronist kam ihm entgegen.
    Er war von einer Wolke absterbender Zeit umgeben. Sie diffundierte zu Schwingungen und sinnentleertem Geflüster, das Angst erzeugte, wenn man zu lange zuhörte. Der Choronist ähnelte einem Humanes. Blaue Augen, nahezu tellergroß, ragten wie von einer Lupe aufs Mehrfache vergrößert aus der Zeitwolke hervor. Die dürren Beine waren viel zu lang, der Oberkörper ausgemergelt und wie unter Schmerzen gekrümmt. Der Choronist marschierte rückwärts, so wie alle seiner Art, die Blicke in eine endlose Ferne gerichtet. Er schien nach seinem Ursprung zu suchen. An der Quelle allen Seins erwartete ihn seine Erfüllung.
    So vermutete man es zumindest. Denn es war nicht allzu viel bekannt über die Choronisten. Kaum jemand wagte es,
sich Gedanken über diese Wesen zu machen, die den Zeitfluss stromaufwärts zu seiner Quelle reisten. Warum sollte man an dieses Rätsel rühren? Eine Lösung mochte, so die Meinung der Philosophen und Forscher, beide Temporalrichtungen zerstören. Man ignorierte einander, wo auch immer es zu einem Aufeinandertreffen kam.
    Der Choronist umkurvte Turil, schien ihn also ebenfalls bemerkt zu haben.
    Vielleicht wälzt er ähnliche Gedanken wie ich? , fragte sich Turil. Er spürte den Hauch umgepolter Zeit. Sie kitzelte seine Haut, feinste Nackenhärchen stellten sich in seinem Nacken auf. Der Zeremonienmantel vibrierte, als wollte er sich gegen eine ungewollte Beeinflussung wehren.
    Der Moment der Gefahr verging, sie entfernten sich voneinander. Turil zwang sich, die Begegnung so rasch wie möglich zu vergessen. Es gab andere Dinge, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Er marschierte weiter, ohne sich umzudrehen.
    Im Zentrum des Zankgehöfts pries ein einsamer Krämer seine Waren an. Die interstellare Handelslizenz, in fälschungssicheres Caranit gefasst, blinkte purpurn. Das Verwarnungslimit des Händlers war nahezu erreicht. Ein oder zwei begründete Beschwerden noch, und er würde für zumindest ein Planetenjahr gestrandet sein, wo auch immer er sich gerade befand.
    Wenige Sonnenstrahlen beleuchteten den Flimmerbaldachin und hielten die Schutzkäfer des Händlers in Bewegung. Die Insekten waren teuer und nur schwer zu zähmen. Doch hatte man die hitzeempfindlichen Tierchen ausreichend eingeschult, blieben sie ihrem Herrn bis in den Tod treu und verteidigten ihn mit all ihren Kräften.
    Der Händler streckte die Nase vorwitzig zwischen den
kühlenden Gazevorhängen des Wanderladens hervor. Turil hielt ihn für einen Westalen, war sich aber nicht sicher. Mit Hilfe moderner Medokompressoren konnte man heutzutage ein verändertes Aussehen kreieren, für ein geringes Zugeld bekam man unlizenzierte, nichtsdestotrotz relativ gut geformte Charakterbilder. Der vorgebliche Westale mochte einmal ein Charnink mit einem prächtigen Halsgeweih gewesen sein, oder ein chitinoider Biff-Shashe.
    »Hast du Sorgen, großer Freund?«, singsangte der Händler. »Soll ich dir helfen, den Alltag zu vergessen? Willst du frei sein von den Zwängen deines Volkes? Ich kann dir helfen, helfen, helfen …«
    Seltsam. Niemand sonst ließ sich hier blicken. Ein interstellarer Krämer zog stets die Aufmerksamkeit aller wie magisch auf sich. Er roch nach Abenteuer, nach dem Unbekannten und Fernen, nach wundersamen Dingen. Sobald er seine Waren anbot, wurde er für gewöhnlich umkreist, umschwärmt und umsurrt. Selbst für die ärmsten Schlucker der untersten bankinidischen Schichten mochte ein Händler süße Spuckhappen parat haben, die für kurze Zeit Glückseligkeit schenkten.
    »Ich brauche nichts«, sagte Turil, »ich mache bloß einen Spaziergang.«
    »Lügen ist eine Untugend«, fauchte ihn der Krämer an, »gegen die ein Kraut gewachsen ist, das ich zufälligerweise mit mir führe.« Er lachte vulgär, als hätte er einen besonders schmutzigen Scherz an den Mann gebracht. »Aber ich sehe, dass du auf der Suche nach einem besonderen Gut bist.«
    Turil bekam ein wenig mehr vom Gesicht des Händlers zu sehen. Die Nase war zweifellos anoperiert. Sie wirkte lächerlich im facettierten Einerlei des insektoiden Oberkopfes.
    »Was sollte ich deiner Meinung nach denn suchen?«, fragte Turil, teils irritiert, teils amüsiert.
    »Die Freiheit, junger Freund.« Der Händler brummlachte und schob ein fliederfarbenes Triumphgefieder zwischen den

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