Turils Reise
schweren Vorhanghälften hervor. »Du willst von deinen Pflichten befreit werden, willst den Kahlsack als freier Mann bereisen.«
»So? Möchte ich das?« Turil stieß Luft aus, brachte seine Atmung mühsam unter Kontrolle. Wie konnte es sein, dass...
»Ich kann dir geben, was du willst, junger Totengräber. Ich bin Agonphyl. Freund der Armen und Ratgeber der Unglücklichen. Auf keiner Parov-Welt wirst du einen besseren Freund als mich finden. Ich besorge dir die richtige Medizin, ich flöße sie dir ein und spreche die passenden mächtigen Worte.«
Turil war verwirrt. Das vernarbte Gewebe entlang seiner Rückgratplättchen schmerzte. Dort, wo ihm in seiner frühesten Jugend eine von vielen Knochen-Deformationen entfernt worden war, die auf dem inzestuösen Erbgut des zahlenmäßig kleinen Volkes der Totengräber beruhten.
Seine Instinkte, auf die er sich verlassen zu können geglaubt hatte, wirkten wie betäubt. Was geschah hier? Warum ließ er sich auf ein Gespräch mit dem Händler ein, wo doch jedermann wusste, dass die Angehörigen seiner Kaste über wie Zauberei anmutende Gaben verfügten?
»Es kostet nicht viel«, summte der Händler weiter. Mittlerweile hatte er seinen Leib vollends aus dem Kabuff hervorgewälzt. Er hob sich schwer in die Luft und umflatterte Turil. Aus der rot angeschwollenen Körpermitte drangen Duftwolken, deren Pheromonbeimengungen sexuelle Hochgefühle auslösen sollten.
Turil biss auf die Zahnleistenarmierung. Augenblicklich setzte die schützende Wirkung eines Hemmstoffes ein. Sie blockierte seine Emotionen so weit, dass er den Lockungen des Krämers zu widerstehen vermochte; zumindest für eine Weile.
»Ich gebe dir ein Heilmittel, Schutzmittel, Gegenmittel«, sagte Agonphyl. »Und du verkaufst mir dafür ein Jahr deines Lebens.«
»Ein Jahr?!« Turil fühlte ein weiteres Dämpfungsmittel in die Blutbahn einschießen. Es sollte seine hormonellen Überreaktionen während der Übergangszeit zwischen Jugend-und Erwachsenenalter in die richtigen Bahnen lenken. »Du bist nicht nur ein Lügner, sondern auch unverschämt. Bei niemand anderem als einem Totengräber findest du eine derartige Wissensfülle. Ein Jahr als Preis für deine Lügengeschichten ist eine Frechheit!«
Agonphyl breitete sein Triumphgefieder noch weiter aus, ließ es über dem Kopf zusammenwachsen. »Du überschätzt dich, kleiner Junge. Dein Herr und Vater ist Pschoim, nicht wahr? Du bist ihm untergeben, du wirst noch lange Zeit am Zipfel seines Zeremonienmantels hängen und Handlangerdienste für ihn leisten. Oder weißt du bereits Bescheid über die Funktionen seiner Schiffssphäre? Kennst du die Zahlungsmodalitäten, die ihr euren Klienten aufzwingt? Hast du Zugriffe zu den Informationsspeichern deines Volkes? Nein, mein Kleiner: Ein Jahr deines Lebens ist ein angemessener Preis für die minderen Informationen, die du mir anzubieten hast.«
Der Händler hatte Recht. Er war ein Nichts, ein Niemand. Pschoim wachte eifersüchtig über all jene Geheimnisse, die die GELFAR zu bieten hatte. Solange Turil nicht jeden Handgriff mit traumwandlerischer Sicherheit vollführen
und all die Fragen beantworten konnte, die Stunde für Stunde, Tag für Tag auf ihn herniederprasselten, bestand keine Aussicht auf Besserung seiner persönlichen Situation.
»Lassen wir es bleiben, Händler. Du kannst nichts bieten, das mich vor meinem Vater schützt. Er würde mich finden, wo auch immer ich mich verstecke.« Warum brachen diese Worte aus ihm hervor? Was bewog ihn, sich ausgerechnet diesem Wesen anzuvertrauen? War dies denn eine jener Situationen, vor denen Pschoim ihn gewarnt hatte, als er meinte, er solle sich »vor den Lebenden und ihrer Niedertracht in Acht nehmen«?
»Ich weiß von Wegen und Schlichen, die selbst den Totengräbern unbekannt sind.« Agonphyl zeigte ein gallefarbenes Gefieder des Abscheus. Langsam ließ er sich auf einer Sitzstange nieder, die zwischen den Vorhangtüchern hervorgeglitten war. »Ihr Thanatologen seid so verdammt stolz auf eure Arbeit und euren Wissensreichtum; dabei habt ihr keine Ahnung vom Leben! Ihr bewegt euch in den Kreisen der Herrschenden; ihr kümmert euch um jene, die an den Rädern der Macht drehen und die Welten am Laufen halten. Doch es gibt so viele Dinge, die euch verborgen bleiben, weil sie zu klein, zu unwichtig sind, um von euch auch nur bemerkt zu werden. Eure Netze sind zu grobmaschig gewebt, um kleine Fische darin zu fangen.«
War es denn so? Turil wusste es nicht. Er
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