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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Schonung der Familienmitglieder erschien Dreidreiblau unangebracht. Sie würden sterben, dessen war er sich gewiss. Doch es sollte an einem ganz besonderen Ort passieren. Oben, im Sammelhospiz des sturmumtobten Passes, in unmittelbarer Nähe zur Heiligsten Dungkugel.

    »Hören Sie/du mich?«
    »Ja, Herr/Freund. Sind Sie/du das, Sechsachtgrün?«
    »Ja, Herr/Freund. Ich bin geehrt, Sie/dich nochmals zu sprechen.« Das Bild seines ehemals jüngsten Konkurrenten auf dem heimatlichen Dominanzkontinent erschien zwischen den elektrostatisch geladenen Transmissionsbeinchen. Es fiel Dreidreiblau schwer, die Konzentration aufrechtzuerhalten und die durch Körperreibung erzeugte Energie aufzubringen. »Wie geht es Ihrer/deiner Familie?«
    »Ausgezeichnet/den Umständen entsprechend. Ich musste zweitausend meiner Kampfsöhne opfern, um den Rückzug abzusichern und das Vordringen der Kitar aufzuhalten. Mit ein wenig Glück erreichen wir unser Ziel, bevor alles endet.«
    »Sehr gut/ich gratuliere.« Dreidreiblau zeichnete mit den freien linken Armen das Zeichen der Freude. »Mir/uns ergeht es ähnlich. Die Kitar meinen, uns besiegen zu können. Aber sie begreifen nicht, dass auch andere Formen des Erfolgs existieren.« Er täuschte ein Selbstvertrauen vor, das er nicht hatte. Seine Altweiber hielten die Kolonne auf; selbst der Klang seiner Peitsche konnte da nichts mehr bewirken. Ihre Füße, abgenutzt und teilweise durch die Belastungen unzähliger Mehrfachgeburten abgestorben, trugen die nutzlosen Körper kaum mehr vorwärts. Dabei war das Ziel schon fast in Sichtweite; diese aus dem Speichel hunderter Generationen gebildete Kugel, in denen das Gen-Gut seiner Familie abgelagert war.
    »Was meinen Sie/meinst du, was die Kitar eigentlich von uns wollen?«, hakte Sechsachtgrün mit der Respektlosigkeit der Jugend nach.
    »Sie suchen/wünschen. Ich kann es spüren. Mir ist allerdings nicht klar, was sie suchen/wünschen. Aber diese
Sehnsucht erzeugt Verlangen, und das Verlangen erzeugt Hass. Sie werden von unverständlichen Trieben dazu gebracht, gegen alles vorzugehen, das nicht so ist wie sie.«
    »Eine sehr gute Analyse, Herr/Freund. Ich bewundere Ihren/deinen Spürsinn.«
    Ja, darauf konnte er stolz sein. Er sah und spürte Emotionen. Anhand von Worten, Gesten oder auch nur Bewegungen vermochte er sie mit hoher Präzision zu deuten. Nur deshalb hatte er es zu einer derartig langanhaltenden Vormachtstellung auf seinem Dominanzkontinent gebracht und mehr als 50 000 Nachkommen gezeugt.
    »Wenn Sie/du mich nun entschuldigen«, sagte Dreidreiblau, »ich muss mich um meine Familie kümmern. Letzte Hindernisse sind zu überwinden.«
    »Selbstverständlich, Herr/Freund.« Sechsachtgrün sandte ein Zeichen der Demut. »Ich bedaure es, Ihnen/dir niemals im Kampf gegenübergestanden zu haben. Unser beider Tod wäre ein besonderes Erlebnis für die Familien gewesen.«
    Dreidreiblau spürte den Größenwahn - und die Angst - in den Worten des anderen. Wie konnte der Jüngere es wagen, sich mit ihm auf eine Stufe zu stellen und eine mögliche Herausforderung auch nur anzudeuten?
    Nun, es waren besondere Zeiten, und die interfamiliären Konventionen ergaben kaum noch einen Sinn. Der Nachthimmel färbte sich allmählich rot, und die Erde bebte. Ringsum quollen Feuer und Rauch aus dem wie mit einer Häckselmaschine zerstückelten Grund. Die heimatliche Sonne ging ein letztes Mal unter. Morgen würde sie auf einen leblosen, möglicherweise in mehrere Teile zerteilten Planeten herabscheinen.
    »Ich bedaure es ebenfalls, Herr/Freund«, sagte nun auch Dreidreiblau. »Aber wir sterben reinen Gewissens und in
dem Bewusstsein, niemals gefehlt zu haben.« Er stoppte die elektrostatische Ladung, das Bild brach in sich zusammen. Es war alles gesagt zwischen den Oberhäuptern der wohl letzten beiden intakten Familien dieser wunderbaren Welt.
    Dreidreiblau setzte vierzig seiner Jungkinder auf seinen Körper und ließ sie zwischen die Chitinreibschalen gleiten. Mit ihren nackten, kaum noch behaarten Körpern knarzten sie vor Entzücken über diese unerwartete Gelegenheit eines Ausritts; die Kleinen hatten keine Ahnung, was rings um sie vorging - und welches Schicksal ihnen drohte.
    Durch weiteres Peitschenknallen brachte Dreidreiblau die Nachhut der Altweiber dazu, mit ihren letzten verbliebenen Kräften den Anschluss an die Kolonne zu wahren. Einer von ihnen, Siebenvierton, die ihm immer lieb und wert gewesen war, schenkte er im Vorbeigehen gar ein

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