Turm der Lügen
Haushalt gegeben. Er ist ihr gewachsen, dessen kannst du gewiss sein.«
»Gut.« Jeanne pflichtete ihm bei. »Er wird Mahaut im Zaum halten können, das glaube ich gerne. Aber was ist mit dem König? Welche Entscheidungen wird er treffen? Weißt du das? Wird er verlangen, dass sich seine Söhne scheiden lassen, oder hat er einen Weg gefunden, unsere Ehen auf andere Weise zu annullieren? Er wird seine Verbindungen spielenlassen, sobald der neue Papst gewählt ist. Ist das Konklave schon zu einem Ende gekommen?«
Philippe schüttelte den Kopf und lieferte eine Auskunft nach, die neu für Jeanne war.
»Die Anhänger des verstorbenen Papstes Clemens haben das Konklave in Avignon mit Waffengewalt gesprengt. Seitdem herrscht Ratlosigkeit. Keiner weiß, wann die Kardinäle wieder zusammentreten werden.«
Jeanne nahm sie beherrscht auf. »Euer Vater wird auch daraus das Beste machen. In Zeiten allgemeiner Führungslosigkeit kann er bestimmte Kardinäle sicher zu allem Möglichen überreden.«
»Du urteilst, ohne nachzudenken.« Philippe setzte sich eng neben Jeanne in die Fensternische und legte ihr den Arm um die Schultern. »Unser Vater spricht weder von Scheidung noch von Annullierung. Nur von einem Erben für die Krone. Deine Schwangerschaft ist uns die beste Garantie für deine Freiheit und deine Sicherheit. Wenn es ein Sohn wird, wird alles vergeben und vergessen sein.«
»Also zählt nicht meine Unschuld, sondern nur die Tatsache, dass ich dein Kind erwarte.«
»Den Enkel des Königs.«
»Und warum muss ich hierbleiben?«
»Zu deiner Sicherheit. So solltest du es nehmen und verstehen. Und zur Sicherheit des Kindes, das du trägst. Bei Hofe misstraut jeder jedem. Kannst du dir vorstellen, was Louis und Charles empfinden, wenn sie erfahren, dass du ein Kind erwartest?«
Jeanne erschrak. So weit hatte sie trotz allem nicht gedacht. Sowohl der König wie Philippe schienen zu vermuten, dass ihr Gefahr drohte.
»Du fürchtest die Eifersucht deiner Brüder?«
Philippe wich ihrer Frage aus, und schon das beantwortete sie eindeutig.
»Deine Verbannung bietet dir Sicherheit. Bereite dich auf die Geburt unseres Kindes vor. Séverine wird bei dir bleiben und gemeinsam mit Julien dafür sorgen, dass es dir an nichts fehlt. Es ist deine Pflicht, das Wohl des Kindes über alles andere zu stellen, du weißt es.«
»Und wir?«, flüsterte sie kaum hörbar.
Philippe verstärkte den Griff um Jeannes Schultern. »Hat uns das Schicksal nicht schon großzügiger belohnt als meine Brüder? Sie haben von ihren Frauen Gleichgültigkeit, Abscheu, Hass und Betrug erfahren, wo uns Vertrauen und Liebe verbinden. Lass uns auch künftig darauf setzen. Nichts kann uns trennen, weder Entfernung noch Zeit. Es ist doch nicht mehr lange bis zur Geburt.«
»Ende November erwarte ich die Niederkunft.«
»Dann wird unser Sohn noch vor dem Weihnachtsfest getauft werden können.«
Jeanne schmiegte sich in seine Umarmung. Neuerlich zu widersprechen wagte sie nicht. Sie liebte ihn. In den vergangenen Wochen und Monaten war ihr das täglich bewusster geworden.
Er war vorausschauend, klug, pragmatisch und doch nicht ohne Phantasie. Abwägend vermied er sowohl überstürztes Handeln wie voreilige Entschlüsse. Seine Pläne bereitete er stets von langer Hand vor.
Ihre Verurteilung und Verbannung hatte er in dieser Form nicht voraussehen können, weil sie das Gespräch mit ihm zu lange hinausgezögert hatte. Nun litt er darunter, dass er den Lauf der Ereignisse nicht bestimmen konnte, sondern nur versuchen, ihn mitzugestalten.
»Ich weiß, es ist dumm«, flüsterte sie. »Aber ich wünschte, du könntest hierbleiben und bei mir sein. Was tun wir, wenn das Kind ein Mädchen ist?«
»Wir werden auch ein Mädchen willkommen heißen und nicht verzagen.« Philippe ließ sich nicht anmerken, wie sehr auch ihn diese Möglichkeit besorgte.
»Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht.«
»Unsere Liebe zueinander stützt mich in meiner Hoffnung.«
Philippe bestärkte seine Worte mit einem Kuss, den Jeanne zärtlich annahm und erwiderte. Zweifel und Bangen wichen für einige wenige Herzschläge.
* * *
Der Pferdestall, ein überdachter Unterstand, dessen Dachbalken von viereckigen, grobgemauerten Säulen aus Sandsteinbruchwerk getragen wurden, lag in einer Ecke neben dem Torhaus der Burg. Die Futterraufen und Wassertröge der Pferde waren zwar überraschend sauber, aber den Boden bedeckte eine dicke Schicht aus verrottetem Stroh und getrockneten
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