Turm der Lügen
Unbehagen verspürte. Unwillkürlich wappnete sie sich gegen die unbekannten Nachrichten aus Poissy.
Ein staubbedeckter brauner Fuchs tänzelte mit hängenden Zügeln neben dem Eingang. Man hatte ihn bis zur Erschöpfung angetrieben. Seine Flanken waren schweißbedeckt und bebten. Séverine hielt nach einem Pferdeknecht Ausschau, der sich seiner annehmen konnte, aber Julien erlaubte keinen Aufschub.
Als sie die schwere Doppeltür zur Halle öffnete, vergaß sie das erschöpfte Tier auf der Stelle. Adrien war gekommen! So staubig wie sein Pferd, Stiefel und Beinkleider von Schlamm bespritzt, stand er schwer atmend und breitbeinig da, in der Hand die gepunzten Reithandschuhe. Schweiß und Staub zeichneten sein Gesicht, seine Züge verrieten tiefe Besorgnis. Was, um Gottes willen, war geschehen? Ihre Freude wurde übergangslos von Sorge abgelöst.
Philippe saß mit dem Burghauptmann am Kopfende des Saales und nahm soeben Adriens Bericht entgegen. Auch er wirkte sichtlich erschüttert.
Séverine wurde es schwindelig. Sie kämpfte um Fassung, atmete tief durch und trat näher. Gleichzeitig hörte sie, was Adrien stockend und mit dumpfer Stimme erzählte.
»Sein Fuß hatte sich im Steigbügel verfangen. Niemand kann sagen, wie weit ihn das Pferd tatsächlich über den Waldboden geschleift hat. Zuvor war er allen anderen davongeritten. Seine Verletzungen sind besorgniserregend. Man hat ihn ins nächste Dorf, nach Poissy, getragen. Wenn sein Zustand sich stabilisiert, will man ihn ins Schloss von Essonne bringen. Noch ist er unfähig, sich zu bewegen. Auch bringt er kein verständliches Wort über die Lippen. Es scheint, als habe er die Sprache verloren.«
Von wem sprach Adrien?
»Wie konnte so etwas geschehen?« Philippe brach das entsetzte Schweigen. »Mein Vater ist ein hervorragender Reiter. Er fällt nicht einfach vom Pferd.«
Der König? Séverine stützte sich mit einer Hand am Tisch ab und presste die andere auf ihr jagendes Herz. Merkwürdigerweise kam ihr ausgerechnet jetzt der Fluch des sterbenden Großmeisters der Templer in den Sinn.
Binnen eines Jahres werdet Ihr vor Gottes Richterstuhl Rechenschaft ablegen müssen!
Das Jahr war noch nicht vorbei.
»Niemand kann es sagen. Seine Majestät stürzte, während er einen Hirsch verfolgte, den die Hunde gestellt hatten. Einige seiner Jagdgenossen sprechen von einem Keiler, der in seiner Panik direkt auf ihn losgestürmt sei. Vielleicht hat ihn auch ein Schlag getroffen, das würde die Sprachlosigkeit erklären. Zum Glück hatte mein Vater darauf bestanden, dass ich an der Jagd teilnehme, so dass ich die Nachricht von dem Unglück ohne Verzögerung überbringen kann. Es wird so kaum Zeit bleiben für unerwünschte Fragen nach Eurem Verbleib. Ihr müsst jetzt auf der Stelle aufbrechen, Monseigneur. Euer Platz muss jetzt der an der Seite des Königs und Eurer Brüder sein.«
Adrien wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und entdeckte aufblickend Séverine.
Sie hat sich verändert,
war sein erster Gedanke.
Obwohl sie erwachsen geworden ist, erinnert sie mich plötzlich wieder an die Séverine, die ich aus Faucheville kenne.
Sie trug schlichte Wollstoffe, hatte das Haar bedeckt und die Hände vor dem Kleid verschränkt. Ihre Haltung war untadelig, aber er vermisste ihre frühere Lebenslust. Er wollte ihr Lachen hören, das Funkeln der Leidenschaft in ihren Augen entdecken und den geschmeidigen, verlockenden Körper in seinen Armen halten. Er wollte ihr die langweilige Haube abstreifen, den Sommerduft ihrer Haut kosten und sich lustvoll in den Tiefen ihres Schoßes vergraben. Die Reaktion seines Körpers auf diese Vorstellungen riss ihn aus seinem Wunschdenken. Für einen Augenblick hatte er völlig vergessen, wo er sich befand.
In ihren Augen las er ähnliche Wünsche. Seine Hand sank langsam herab und ballte sich zur Faust.
Vor dem Burghauptmann mussten sie ihre Gefühle ebenso verbergen, wie er zuvor sein freundschaftliches Verhältnis zu Philippe verschwiegen hatte. Nur Blicke waren ihnen erlaubt. Die Gefahr, dass es in Dourdan Spione gab, die dem König Bericht erstatteten, war groß. Wenn bekannt wurde, dass er mehr für Jeannes Dienerin empfand, würde der König seinen Vater darauf ansprechen.
Philippe erfasste die Situation. Ihm war klar, was in beiden vorging. Es war besser, sie zu trennen, ehe Montgerson unpassende Gedanken kamen. Er winkte Séverine, ihn zu begleiten.
»Hauptmann, Ihr sorgt dafür, dass mein Ritter Speis und Trank
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