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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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näher.
    Wenig später lag Jeanne, in einen wahren Kokon aus Decken gewickelt, auf ihrer Lagerstatt. Nach einiger Zeit wurden ihre Atemzüge gleichmäßig und tief. Sie war eingeschlafen.
    Dankbar erhob sich Philippe und dehnte die lange Gestalt. Seine zwiespältigen Gefühle vor Séverine verbergend, versuchte er sich auf die Zukunft zu konzentrieren.
    »Der Himmel muss sie für das Leid entschädigen, das sie erlitten hat. Ich bin mir sicher, dass Jeanne dieses Mal einen Sohn erwartet.«
    Séverines Gesicht verriet ihm, dass sie eine Antwort verschluckte, die ihm nicht gefallen würde. Stattdessen deutete sie auf Jeanne.
    »Ich will hoffen, dass Ihr Euch nicht täuscht, Monseigneur. Ich bleibe bei Eurer Frau. Ihr könnt Euch die Beine vertreten. Julien hat sich unten bei der Wachmannschaft einquartiert. Der Hauptmann erwartet Euch zum Mahl. Geht und macht Euch keine Sorgen.«
    »Wird sie die Folgen dieser schrecklichen Monate überwinden können?«, fragte Philippe besorgt nach einem letzten prüfenden Blick auf die Schlafende.
    »Ich glaube fest daran. Jeanne hat eine Kindheit unter Mahaut überstanden. Sie hat drei Kinder geboren und in schlimmen Zeiten Haltung bewahrt. Sie ist stärker, als Ihr ahnt. Gute Nacht, Monseigneur.«
    Woher nahm sie die Kraft, so überzeugend zu klingen? Er wusste es nicht.
    »Gute Nacht, Séverine. Habt Dank.«
    Erst als die Pforte hinter ihm zufiel, wich die Anspannung von Séverine. Mit äußerster Vorsicht nahm sie auf dem Fenstersitz Platz. Sie fühlte sich wie ein angeschlagener Krug. Eine falsche Bewegung, und sie würde in tausend Scherben zerspringen. Die Mauern rückten näher, die gewölbte Decke senkte sich, Beklemmung breitete sich in ihr aus. Schon in Paris fiel es ihr nach wie vor schwer, Tag um Tag im Haus zu verbringen. Wie sollte sie Tage, Wochen, wenn nicht gar Monate und Jahre in diesem Kerker ertragen?
    Du vergisst deine Schwester. Jeanne! Für sie wirst du es ertragen.
    Und Adrien?
    Tränen brannten in ihren Augen.
    Du wirst nicht weinen. Wie soll es denn weitergehen, wenn du schon am ersten Tag heulst?
    * * *
    Das Turmgemach war kaum wiederzuerkennen. Es gab jetzt ein Glasfenster, dessen klare Rauten mit Bleistegen verbunden waren. Gewebte Teppiche verbargen die Binsenmatten. Stühle mit Arm- und Rückenlehnen, ein Lesepult und Kissen auf allen Sitzgelegenheiten machten das Gefängnis wohnlich. Wachskerzen steckten in mehrarmigen Leuchtern, und im Kamin brannte ein wärmendes Feuer.
    Auf dem neuen Eichenbord neben der Feuerstelle wuchs die Anzahl der Küchengegenstände. Den Bechern waren Näpfe gefolgt, geschnitzte Löffel, ein Mörser und ein Satz Tonschüsseln. Darunter stand ein rechteckiger Holztisch, an dem Séverine, leise vor sich hin summend, Äpfel schälte und in Stücke schnitt.
    Jeanne lauschte der Stimme und den Geräuschen. Kein Musikant, kein Sänger oder Geschichtenerzähler hatte ihr je vergleichbare Freude geschenkt. Zum ersten Mal seit langer Zeit durchflutete sie ein Gefühl des Wohlbehagens.
    Ihr Leben hatte sich innerhalb von Tagen vollständig geändert. Allein der Umstand, dass sie auf einer weichen Matratze in einem Alkoven lag, dessen dichte Wollvorhänge man gegen Zugluft und Kälte schließen konnte, war für sie ein Wunder.
    »Du bist wach!«
    Séverine hatte eine Bewegung Jeannes wahrgenommen.
    »Wach und klaren Sinnes«, bestätigte Jeanne und stützte sich auf den Unterarm. »Was machst du?«
    »Ich brate Eierkuchen mit Herbstäpfeln. Zucker und eine Spur von Zimt werden deinen Appetit anregen«, antwortete Séverine, als sei es das Selbstverständlichste der Welt für sie, zu kochen.
    Sie kippte die Äpfel in eine Schüssel, vermischte sie mit deren Inhalt und goss das Ganze in eine Eisenpfanne, die auf dem Kaminabsatz bereitstand.
    »Wo hast du das gelernt?«
    »Zu Hause. Elvire, unsere Köchin in Faucheville, konnte auf dem kleinsten Feuer die köstlichsten Dinge zubereiten.«
    Séverine schwitzte, da sie die Pfanne mit eigener Hand über die Flamme im Kamin hielt. Sie hatte den Stiel gegen die Hitze mit einem mehrfach gelegten Leinentuch umwickelt und sah aus, als bereite ihr das Kochen höchstes Vergnügen. »Du wirst sehen, sie sind köstlich. Man muss sie nur so frisch wie möglich essen. Wenn man sie erst über den ganzen Burghof aus der Küche anschleppt, fällt alles in sich zusammen, wird matschig und kalt.«
    »Ich habe leider gar keinen Hunger, Séverine.«
    Trotz der verführerischen Düfte widerstrebte Jeanne

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