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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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Gewaltritt von Château Gaillard nach Paris hatte ihm zwar Zeit zum Nachdenken gelassen, aber eine Antwort auf die Frage, weshalb der König ein solches Geheimnis um Jeannes Verbannungsort machte, blieb ihm verwehrt.
    Im Gefolge eines Karrens, beladen mit Kleinholzbündeln, war er der letzte Reisende dieses Tages, der die
Porte St. Antoine
passierte. Nach ihm wurde sie für die Nacht geschlossen. Niemand beachtete den staubigen Reiter. In Gedanken vertieft, bemerkte er auf dem
Place de Grève
seinen Vater erst, als der ihn beim Namen rief. Bis er steif aus dem Sattel gesprungen war, um ihn zu begrüßen, hatte der Baron ihn längst taxiert. Der Staub bedeckte Ross und Reiter.
    »Du kommst aus Poitiers?«
    Es widerstrebte Adrien, dem Vater ins Gesicht zu lügen. Er überging die Frage mit einem Gruß und sah sich um. Zu dieser Tageszeit leerte sich der Strandplatz an der Seine, auf dem die Todesurteile vollstreckt wurden und die Pariser ihre Neuigkeiten diskutierten. Linkerhand lag der älteste Flusshafen der Stadt. Die Lastenträger und Schiffer hatten die Arbeit bereits niedergelegt. Auch dies war ungewohnt für die Jahreszeit, die ganz im Zeichen der Ernte stand.
    »Ich war in Philippes Diensten unterwegs«, antwortete er schließlich, so nahe an der Wahrheit wie möglich.
    »Du tätest besser daran, deine Interessen bei Hofe wahrzunehmen, mein Sohn.«
    »Wohin führt Euch der Weg, Vater? Seid Ihr ohne Begleitung?«, überging Adrien die Zurechtweisung mit einer Gegenfrage.
    Die Auskunft, er sei auf dem Weg zu Mahaut, die seit kurzem wieder in Paris sei und ihre Gefolgsleute zum Festmahl in das
Palais Artois
geladen habe, alarmierte ihn.
    »Hat sie Philippe aufgesucht?«
    »Natürlich. Sie sind Verbündete im Bemühen, die Frauen aus ihrer Verbannung zu befreien. Zwei der Verurteilten sind schließlich ihre Töchter.«
    »Mahaut hat nicht die Mutterliebe nach Paris getrieben.« Adrien dachte an Séverine. »Wo hat sie Residenz genommen?«
    »Im
Hôtel Artois,
du hast mir nicht zugehört.«
    Ein Lichtblick. Wie viel Zeit bleibt mir, Séverine vor ihr in Sicherheit zu bringen? Sie wird Philippe zusetzen und ihre Enkeltöchter sehen wollen,
schoss es Adrien durch den Kopf.
    »Ich nahm an, sie würde sich unter den gegebenen Umständen um Philippes Gastfreundschaft bemühen«, erwiderte er so ruhig wie möglich.
    »Das war ihr Plan, aber er wollte nichts davon hören. Er scheint zu glauben, dass er ihrer Unterstützung nicht bedarf. Er überschätzt sich, wie immer.«
    »Konnte Mahaut dem König endlich entlocken, wo die Verbannten festgehalten werden?« Mit einem stummen Kopfschütteln verneinte der Vater die Frage, worauf Adrien sich hastig verabschiedete: »Dann entschuldigt meine Eile, Vater. Ich bin sicher, Philippe bedarf meiner Dienste. Gehabt Euch wohl.«
    »Vergiss nicht, dass du zugesagt hast, an der Jagd des Königs teilzunehmen, Adrien. Es ist nicht in meinem Sinne, dass du im
Hôtel d’Alençon
den Hausknecht für den Königssohn spielst. Du solltest aufpassen, dass du dadurch nicht bei seiner Majestät in Vergessenheit gerätst.«
    Ein Hustenanfall seines Vaters, der tief im Brustkorb nachhallte, gab der Mahnung etwas Nachdrückliches. Er klang zunehmend besorgniserregend. Schon bei ihrem letzten Zusammentreffen war Adrien dieser hartnäckige Husten aufgefallen.
    »Ihr seid krank, Vater.«
    »Unsinn. Nur ein lästiger Husten, der in diesem feuchten Sommer nicht weichen will.«
    Adrien tat das Leiden weniger achtlos ab. Er bemerkte zudem, dass die respekteinflößende Gestalt seines Vaters an Spannkraft verloren hatte. Das eisgraue Haar war dünner geworden, die Augen lagen tief in den Höhlen.
    »Ihr solltet das Übel nicht auf die leichte Schulter nehmen«, riet er.
    »Ich bin kein altes Weib«, erhielt er zur Antwort. »Wir sehen uns bei der Jagd, mein Sohn.« Mit einem knappen Abschiedsgruß wandte er sich zum Gehen.
    Mars anspornend, folgte Adrien in Gedanken seinem Vater, an dem er nie zuvor Zeichen der Schwäche wahrgenommen hatte. In letzter Zeit drängte er so vehement auf seine Verheiratung, dass Adrien sich diesem Wunsch kaum mehr entziehen konnte. Sie trugen Verantwortung für die Menschen, die auf Faucheville lebten. Der Vater verspürte wohl mehr und mehr die Last seiner Jahre und wollte die Zukunft gesichert wissen. Adrien verstand ihn. Auch ihm lag daran. Durfte er seine Gefühle für Séverine tatsächlich über diese Verpflichtung stellen?
    Die Fülle der Probleme grub Falten in seine

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