Turm der Lügen
dass dieses Indiz, das bei der Verurteilung seiner beiden Schwägerinnen eine so bedeutende Rolle gespielt hatte, von seiner Frau nie erwähnt worden war, hatte er Jeannes Schmuckschatulle danach durchsucht, als er aus Pontoise kam. Aber er hatte keine Spur davon gefunden. Isabelle hatte behauptet, allen dreien das gleiche Geschenk gemacht zu haben. Nun zu entdecken, dass seine Kinder damit spielten, wühlte alles wieder auf. Mit Mühe wahrte er vor den Mädchen das Gesicht.
Woher hatte seine Schwester eigentlich die Mittel für drei so kostbare Aufmerksamkeiten? Bat sie nicht den Vater in jedem zweiten Brief um Gold? Das starre Geflecht aus gezogenem Golddraht war ähnlich dem Stahldrahtgeflecht eines Kettenhemdes in dichten Maschen geflochten, aber beweglich geblieben. Dazwischen leuchteten Karfunkelsteine, Perlen, Smaragde, Achate und Saphire.
Isabelle war nicht die Frau, die ein solches Vermögen vergeudete, um ihre Schwägerinnen zu beglücken. Sie wollte ihnen schaden, ihnen eine Falle stellen, nicht sie erfreuen. Jemand, der Marguerites und Blanches Gier nach Juwelen genau kannte, musste dabei ihr Komplize gewesen sein. Er hatte vielleicht sogar die Börsen finanziert. Wer? Artois? Der Verdacht lag nahe.
Die Prinzessinnen mussten von Sinnen gewesen sein, diese auffälligen Börsen den Brüdern Aunay zum Geschenk zu machen. Kein Wunder, dass Isabelle sie auf den ersten Blick an ihren Gürteln erkannt, und ihre Anschuldigungen darauf gegründet hatte.
Was hatte Jeanne mit ihrer Börse gemacht? Sie entsprach nicht ihrem Geschmack, das sah er klar. Aber dass sie sie Séverine geschenkt haben sollte, konnte er auch nicht glauben.
Er sah sie an. »War die Börse die ganze Zeit in Eurem Besitz?«
»Aber nein.« Séverine hatte inzwischen beide Kinder an der Hand genommen. »Marguerite hat die Börse in der Truhe dort entdeckt. Sie gefiel ihr wohl, weil sie so hübsch glitzert.«
Philippe musterte die Kleine düster.
»So klein und schon so fasziniert von Gold und Edelsteinen. Ich hoffe, Eure Erziehung zu Bescheidenheit und Demut dämpft diesen Charakterzug.«
»Sie sind die Töchter ihrer Mutter«, verteidigte Séverine die Mädchen leidenschaftlich. »Ihre Seelen sind rein. Allein die Sehnsucht nach Jeanne hat sie in dieses Gemach getrieben. Die Ehrendamen Eurer Schwiegermutter haben in der Halle über die Ereignisse getratscht und die Kinder erschreckt. Sie können nicht verstehen, was passiert ist. Aber dass ihre Mutter beim König in Ungnade gefallen ist und nicht an den Hof zurückkehren kann, ist ihnen nun leider nicht verborgen geblieben.«
»Ich wollte weder Euch noch sie tadeln, Séverine«, antwortete Philippe knapp. Immer mehr verstand er, was Adrien an ihr so schätzte. Wenn sie jemandem zugeneigt war, war sie es bedingungslos.
»Bringt die Kleinen in die Kinderkammer zurück und seht zu, dass Ihr dabei niemandem über den Weg lauft.«
Er strich den Mädchen liebevoll über den Kopf und öffnete ihnen die Tür.
Séverine zögerte. »Habt Ihr von Adrien gehört?«
»Nein. Aber wenn er eintrifft, werdet Ihr es erfahren. Ihr habt mein Wort.«
Sie verneigte sich ein zweites Mal und huschte mit den Kindern davon.
Die Börse in seiner Hand wiegend, trat Philippe an den Alkoven. Wann würde er seine Frau unter diesem Baldachin wieder in den Armen halten?
Er hatte an Jeannes Unschuld nie gezweifelt. Dass er jedoch Isabelles Geschenk nicht unter ihrem Schmuck gefunden hatte, hatte ihn beunruhigt. Umso größer war nun seine Erleichterung.
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Zwölftes Kapitel
I n Sichtweite der Stadtmauern von Paris zügelte Adrien sein Pferd. Er ließ den Blick über die Weinreben am Weg schweifen. Nirgendwo entdeckte er ein Anzeichen dafür, dass die Ernte eingebracht und die Weinstöcke beschnitten worden waren. Stattdessen hingen verschimmelte Reben zwischen trockenen Blättern. Früchte, die das Keltern nicht lohnten, die sogar von Vögeln verschmäht wurden.
Es war kein besonders gehaltvoller Wein, der im Südwesten von Paris, meist auf Klostergrund, angebaut wurde, aber die Städter ließen ihn genüsslich durch die Kehle rinnen. Den Ausfall der diesjährigen Ernte würden sie unangenehm zu spüren bekommen. Wenn Wirte und Händler Wein anderer Provinzen kaufen mussten, stiegen die Preise. Dies würde zusätzlich für Aufruhr sorgen.
Die Aussicht trübte seine ohnehin düstere Stimmung. Philippe erklären zu müssen, dass es ihm nicht gelungen war, Jeanne zu finden, lag ihm schwer im Magen. Der
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