Turm-Fraeulein
Ameisenlöwe starrte sie lange Zeit an. Schließlich zuckte er die Schultern und zog eine Linie. Grundy bekam die anderen drei Kästchen.
»Heute habe ich etwas gelernt«, sagte der Ameisenlöwe gleichmütig. »Die Finte des geopferten Kästchens, die stets in einer Katastrophe endet, ob man es ablehnt oder annimmt. Ich gratuliere dir, Golem; du hast dich als schlau genug erwiesen. Deshalb lasse ich dich auch passieren.« Das Ungeheuer wich beiseite, damit Grundy das Schloß betreten konnte.
Grundys kleine Knie zitterten ein wenig. Erleichtert schritt er durch ein weiteres Tor, dahinter stand die verschleierte Gorgone. »Was hat dich solange aufgehalten, Grundy?« fragte sie besorgt.
Doch Grundy war nicht danach, eine freche Antwort zu geben. »Ich möchte einfach nur mit dem Magier sprechen.«
»Natürlich. Aber sei vorsichtig, er ist heute ziemlich schlecht gelaunt.«
Sie führte ihn ins Büro des Guten Magiers. Humfrey hockte auf seinem hohen Schemel, über ein monströses Buch gebeugt. Er war – zumindest körperlich – inzwischen etwa zwölf Jahre alt, nachdem er sich soweit von der Überdosis Lebenselixier erholt hatte, mit der er vor fünf Jahren hatte Bekanntschaft machen müssen.
»Magier, ich brauche einen Rat…« begann Grundy.
»Hau ab«, knurrte Humfrey.
»Ich möchte einfach nur…«
»Ein Jahresdienst – und zwar im voraus.«
Dies war für den Guten Magier das gewöhnliche Verhalten. Doch das Erlebnis mit dem Ameisenlöwen hatte Grundy erschüttert, und so verfiel er wieder in seine gewohnte Ausdrucksweise. »Hör mal zu, du runderneuerte Mißgeburt! Du bist ja so ein Idiot, daß dir fünf Jahre lang das Wichtigste entgangen ist! Du kannst jedes Alter haben, jederzeit, was du nur willst. Ich kann dir ein Jahrhundert deines Lebens zurückgeben, mit einem einzigen Satz. Dann schuldest du mir hundert Antworten.«
Damit fesselte er die volle Aufmerksamkeit des Guten Magiers. »Beweise es mir.«
»Du brauchst lediglich ein Stück Umkehrholz in einen Becher mit Jugendelixier zu tunken. Dann wird es…«
»Dann wird es zu einem Alterselixier!« beendete Humfrey erstaunt für ihn den Satz. »Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«
»Weil du ein…«
»Das habe ich schon gehört. Also gut, Golem – du hast dir eine Antwort verdient. Stell deine Frage.«
»Ich habe so viele Antworten verdient, wie ich haben will!«
»Nein. Du hast mir einen Dienst geleistet, den ich nach Belieben ausnutzen kann. Für wie viele Jahre ich dies tue, spielt dabei keine Rolle. Was zählt, das ist nur dein Jahr. Also, frage.«
Grundy kam zu dem Schluß, daß der Gute Magier wie der Ameisenlöwe ein Wesen war, das nicht eben zu Kompromissen neigte. Wenigstens bekam er nun, was er wollte.
»Wie kann ich Stanley Dampfer ausfindig machen und retten?«
»Oho! Du willst dich um die Sache kümmern!« Humfrey blickte in sein aufgeschlagenes Buch. »Hier steht, daß du auf dem Ungeheuer Unterm Bett zum Elfenbeinturm reiten mußt.«
»Soll das heißen, daß das Buch die ganze Zeit an dieser Stelle schon aufgeschlagen war?« verlangte Grundy zornig zu wissen.
»Soll das eine weitere Frage sein?«
Grundy knirschte mit den Zähnen. Der Gute Magier gab überhaupt nichts umsonst ab, es sei denn, sein Besucher war selbst ein Magier. »Dann verrate mir wenigstens, wo der Elfenbeinturm ist.«
»Möchtest, du deinen Jahresdienst vor oder nach meiner zweiten Antwort ableisten?«
»Du Halsabschneider von einem Gnom! Du Billighexer!« tobte Grundy. »Ich habe dir gerade erst dein Alter zurückgegeben, das ist kaum eine Minute her!«
Humfreys Lippen zuckten. »Und was hast du in letzter Zeit für mich getan, Golem?«
Grundy stürmte aus dem Raum. Der Gute Magier bemerkte es kaum; er saß wieder gebeugt über seinem Buch.
2
Snorty
Als er wieder daheim auf Schloß Roogna war, hatte Grundy noch immer schlechte Laune. Es war ihm erst zu spät eingefallen, daß der Gute Magier ihm ja noch nicht einmal gesagt hatte, daß sich Stanley Dampfer tatsächlich im Elfenbeinturm befand; er hatte ihm lediglich aufgetragen, auf dem Ungeheuer dorthin zu reiten. Wer wußte schon, welche Komplikationen sich da ergeben würden? Andererseits hatte Humfrey aber auch nicht gesagt, daß die Queste sinnlos sei. Er mochte zwar nicht mit Sicherheit wissen, ob Stanley noch am Leben war, doch immerhin hatte er es Grundy nun ermöglicht, ihn aufzuspüren.
Doch zunächst einmal mußte der Golem Ivy alles erklären. Er hegte den Verdacht, daß das
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