Turm-Fraeulein
Geißel sei. Doch inzwischen wußte man, daß die Kombination aus Spalte und Drachen im Laufe der Geschichte das Land Xanth vor den schlimmsten Heimsuchungen der mundanischen Erobererwellen bewahrt hatte. Grundy fragte sich, wie viele andere scheinbar böse Dinge in Xanth tatsächlich einem guten Zweck dienten, wenn man sie nur richtig verstand. Hinter Xanth stand sehr viel mehr, als man auf den ersten Blick erkannte.
Sie beendeten ihre Mahlzeit und legten sich schlafen. Um die Mittagszeit erbebte der Boden, fast wie neulich, als der unsichtbare Riese auf sie zugestapft war, doch nicht ganz so heftig. Dies war das vertraute Stampfen der Spaltendrachin.
Mit einem Mal war die ganze Gruppe hellwach. Grundy stellte sich vor dem Tunnelausgang auf, bereit, der Drachin als erster entgegenzutreten. Dies war sein Augenblick der Macht.
Da kam sie auch schon in Sichtweite: eine lange, niedrige, sechsbeinige Drachin, die sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit fortbewegte. Aus Maul und Nüstern schoß Dampf hervor, der ihrem Nahen eine noch größere Erhabenheit verlieh.
»Halt!« rief Grundy und hob die kleine Hand. »Wir kommen in Freundschaft.«
Die Drachin stapfte weiter, den Blick auf Chester geheftet.
»He!« sagte Grundy. »Langsamer! Ich habe dir doch gesagt…«
Mit offenem Maul dampfte sie einfach an ihm vorbei. Chester, der kein Feigling war, hatte schon sein Schwert gezückt, bereit, sich zu verteidigen – doch kein gewöhnlicher Zentaur konnte es mit einem solchen Drachen aufnehmen, und Chester war nicht einmal in sonderlich guter Verfassung.
Grundy begriff, daß die Drachin so sehr auf ihr vermeintliches Opfer konzentriert gewesen war, daß sie ihn überhaupt nicht gehört hatte. Der Intellekt von Drachen war im allgemeinen recht beschränkt. Er konnte sich daher immer nur auf eine Sache zur selben Zeit konzentrieren. Wie konnte Grundy zu ihr durchdringen, bevor eine Katastrophe geschah?
Da erblickte er einen Schatten am Himmel. Ein Rokh kreiste dort oben, vielleicht neugierig geworden, was hier unten vor sich ging. Grundy hatte eine Idee.
»He, Brüder!« krächzte er in Rokhsprache. »Kommen wir runter und zerren wir die Drachin mal am Schwanz!«
Rutschend kam Stella Dampfer zum Halten und stieß eine riesige Dampfwolke hervor. »Das brauchst du nur zu versuchen, dann werde ich dir aber mal meine Zähne zeigen…!« zischte sie in Drachensprache. Dann hielt sie inne, denn die Rokhs waren überhaupt nicht da.
»Ich bin es, Stella«, rief Grundy. »Grundy Golem! Wir sind hier geschäftlich unterwegs!«
»Ich bin nicht Stella«, dampfte sie. »Ich bin Stacey!«
Hoppla – das hatte er vergessen. »Tut mir leid, kleiner Gedächtnisfehler.«
»Aber Stella gefällt mir besser«, entschied sie.
»Was du nur möchtest«, stimmte er zu, wie man es eben tut, wenn man vor einem Drachen steht. Wenigstens hatte er jetzt ihre Aufmerksamkeit erregt.
»Ihr seid keine Verirrten?« knurrte sie.
»Keine Verirrten«, bestätigte er ihr mit fester Stimme. »Wir sind wegen Stanley zu dir gekommen.«
»Stanley! Habt ihr ihn gefunden?« Natürlich hatte man sie über das Verschwinden des kleinen Drachen informiert.
»Nein, ich bin auf einer Queste, um ihn zu suchen. Bink und Chester haben mir geholfen, hierherzukommen. Ich muß auf dem Ungeheuer Unterm Bett bis zum Elfenbeinturm reiten. Aber ich weiß nicht genau, wo der Elfenbeinturm ist. Ich hatte gehofft, daß du etwas davon gehört hast.«
»Nichts«, sagte sie mit tiefem Bedauern und stieß eine weitere Dampfwolke aus. »Natürlich habe ich nicht sehr viel Gelegenheit, mich mit den meisten Wesen zu unterhalten, die hier vorbeikommen, bevor ich sie auffresse, und die Rokhs schneiden mich.«
»Natürlich«, stimmte Grundy zu. »Die haben ja nur Kieselsteine anstelle eines Gehirns.«
»Aber selbst wenn Stanley nicht verschollen wäre, wäre er immer noch zu jung«, knurrte sie entmutigt. Sie bewachte nur vorübergehend die Spalte, denn das war normalerweise Stanleys Job.
»Nicht unbedingt«, sagte er. »Wir haben einen technologischen Durchbruch geschafft. Umkehrholz und Lebenselixier. Er kann jedes Alter annehmen, sofort.«
»Jedes Alter!« dampfte sie entzückt. »Wir müssen ihn finden!«
»Aber wenn du keinerlei Ahnung hast, wo…«
»Vielleicht weiß es das Seeungeheuer!« zischte sie eifrig. »Der Typ ist vor Tausenden von Jahren aus Mundania gekommen und weiß fürchterlich viel über die Verstecke aller Arten von Ungeheuern. Wenn irgend jemand wissen
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