Turm-Fraeulein
Deckung!« schrie Grundy, der befürchtete, daß die Damsell getroffen werden könnte.
Rapunzel nahm die Größe eines Golems an und rannte unter den Sitz. Snorty holte die Ruder ein und gesellte sich zu ihr. Als die Hagelkörner das Boot mehrmals heftig trafen, schloß sich auch Grundy den beiden an. Die Wogen waren inzwischen so heftig, daß es ohnehin sinnlos gewesen wäre zu rudern.
Tatsächlich waren sie sogar zu heftig. Das Boot tanzte auf und ab, auf angsterregende Weise wurde es mal auf einen Wellenkamm gehoben, um dann wieder fast im Steilflug in die Tiefe zu rauschen, zu allem Unglück begann auch Wasser einzudringen. »Oh, wir werden noch ertrinken«, rief Rapunzel.
Grundy wußte, daß er daran schuld war. Er hatte zwar den Sturm dazu benutzt, um die Vettel aufzuhalten, doch nun drohte das Unwetter auch sie aufzuhalten. »Vielleicht kann ich das Seeungeheuer rufen«, sagte er. »Es befindet sich irgendwo da draußen, und wenn wir weit genug vom Turm entfernt sind, kann es uns aufnehmen.« Er kletterte auf den Sitz.
»Ach, sei bloß vorsichtig!« rief die Damsell.
»Es muß schließlich erledigt werden«, sagte Grundy grimmig. Langsam kämpfte er sich zum Rand des Bootes vor.
»Du bist ja so tapfer!« meinte Rapunzel.
»Tapfer? Ich schlottere förmlich vor Angst!« sagte er. Und das tat er auch. Doch mußte er das Seemonster heranrufen, um sie zu retten.
Er stemmte sich ab, erhob sich und schrie: »Seeungeheuer! Seeungeheuer! Kannst du mich hören?« Doch er erhielt keine Antwort. Er rief wieder und wieder, vergeblich. Entweder war das Getöse des Sturmes zu laut oder das Ungeheuer war zu weit entfernt, um ihn zu vernehmen, oder beides.
Plötzlich wurde er von einer großen Woge umgerissen. Gerade noch rechtzeitig schoß eine von Snortys behaarten Händen hervor und packte ihn, bevor er auf den Boden des Boots – oder, noch schlimmer, gar über Bord – stürzte. Langsam begann er haarige Hände zu mögen!
»Was hast du denn da getan?« fragte Rapunzel erschreckt. »Ich dachte, du wolltest das Ungeheuer rufen.«
»Ich habe auch nach dem Ungeheuer gerufen!« fauchte Grundy, während er etwas Wasser abschüttelte.
»Aber du hast doch getutet! Hast du dir etwa die Nase geputzt?«
»Das ist Ungeheuersprache.«
»Soll das heißen, daß du deren Sprache kannst?« fragte sie erstaunt.
»Natürlich. Ich bin doch der Kommunikationsgolem. Ich kann mich mit jedem unterhalten.«
»Ach, das ist aber beeindruckend!« meinte sie, und zwar keineswegs sarkastisch, denn Sarkasmus war ihr völlig fremd; sie war wirklich beeindruckt.
Wieder prallte eine Welle über das Boot. »Es hat jedoch nicht geantwortet«, knurrte Grundy. »Und wenn wir nicht bald Kontakt mit ihm herstellen…«
»Vielleicht, wenn du… «, fing sie zögernd an.
»Ja?« Es war immer noch besser miteinander zu reden, damit ihnen die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage nicht allzu bewußt wurde.
»Wenn du mit jedem sprechen kannst…« Wieder zögerte sie.
»Das kann ich, aber…«
»Vielleicht, wenn du einen Fisch fragst…«
Grundy schlug sanft mit dem Kopf gegen das Holz des Boots. Natürlich! Er konnte einen Fisch als Boten zum Ungeheuer schicken! »Gute Idee, Rapunzel!« rief er und umarmte sie kurz und inbrünstig.
Er kletterte wieder auf den Sitz und an die Kante, ohne sich um die Wellen zu kümmern, und schrie das Wasser an: »He! Schwimmt hier irgendein guter Fisch?«
Keine Antwort. Da wurde ihm klar, daß die Fische ihn ja unter Wasser nicht hören konnten; er mußte sich in ihr Element begeben. »He, Snorty! Binde eine Leine an meinen Fuß, damit ich mich ins Wasser hängen kann!«
»Nein!« rief Rapunzel und legte auf ihre mädchenhafte Art die Hand vor den Mund.
»Muß sein«, meinte Grundy. »Ich kann mich mit den Fischen nur in ihrem eigenen Element unterhalten.«
Snorty war sehr geschickt mit Tauen und Seilen, was an seinen zahlreichen kräftigen Händen lag. Es dauerte kaum einen Augenblick, da hatte er Grundy auch schon sicher befestigt. »Zieh mich nach einer kurzen Weile wieder raus, damit ich nicht ertrinke«, sagte Grundy zu ihm und sprang über Bord.
Das Wasser war so kalt, daß ihm einen Moment fast das Herz stehenblieb. Er glitt an der Außenkante des Boots vorbei, bevor sich das Tau endlich straffte. Dann rief er den Fischen in Fischsprache zu: »He, ihr armen Fische! Mein Name ist Grundy. Ich brauche einen Boten!«
Ein großer, kräftiger Seebarsch kam herangeschwommen. »Mein Name ist Tard; ich brauche
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