Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
Vom Netzwerk:
Dann nahmen die Frösche ihr Konzert wieder auf, und aus der Ferne erreichte uns das leise Brummen der Autos und Lastwagen auf dem Highway.

Kapitel Acht
    Nachdem ich schon ungefähr ein Jahr lang Detektiv gespielt hatte, zog ich das Los, einen Vermissten-Fall zugeteilt zu bekommen. Eigentlich wäre es ein Fall für Banks gewesen, der älter war und als Nächstes dran gewesen wäre. Aber Banks ging gerade den Spuren in einer Serie von Entführungen und Vergewaltigungen an einer lokalen Privatschule nach. Also, wenn es mir nichts ausmachte …
    Aus einer Rehabilitationsklinik war eine Patientin verschwunden. Patricia Pope, neunzehn Jahre alt. Sie war mit ihren Freunden ausgegangen, um ihren Geburtstag mit einer Pizza und ein paar Gläsern Cola zu feiern. Als sie gegen acht Uhr abends auf dem Heimweg waren, prallte ein Auto mit einem betrunkenen Fahrer frontal gegen ihren Wagen. Der Fahrer hatte nach Feierabend, um fünf Uhr nachmittags, angefangen zu trinken und war als Geisterfahrer auf den neuen Highway gefahren. Die anderen vier Insassen im Wagen starben. Patricia, die auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, flog durch die Scheibe auf die Kühlerhaube des Betrunkenen in seinem Ford F-150. Sie wurde in der Notaufnahme des Baptist Hospitals behandelt und dann für einige Tage auf die neurologische Intensivstation verlegt, wo aus einem Shunt in ihrem Kopf eine Flüssigkeit in einen Messzylinder tropfte. Dann wurde sie auf die allgemeine Station und schließlich in eine separate Pflegeeinrichtung verlegt. Sie reagierte gar nicht, wenn sie angesprochen wurde, und
nur marginal auf Schmerzen. (Auf der Intensivstation kniffen sie sie in die Brustwarzen und drehten sie. Auf den anderen Stationen war man etwas freundlicher und sanfter, stach ihr mit Nadeln in Füße, Knöchel, Unterarme und den Rumpf.) Ihre Hände hatten begonnen, sich quasi von selbst umzubiegen, anfangs in Form einer Serie von Kontraktionen, bei denen Muskeln gegen Knochen gezogen wurden. Ihre Augen rollten ständig von links nach rechts. Sie war inkontinent und wurde künstlich durch einen Schlauch ernährt, der bei jeder Fütterung neu gelegt werden musste. Pfleger führten diese Schläuche durch die Nase ein, pusteten Luft mit einer Spritze durch und kontrollierten mit dem Stethoskop, ob sich das Ende auch in ihrem Magen befand.
    Der Unfall hatte sich am 3. April ereignet. Am 20. April war Patricia in das Pflegeheim verlegt worden. Als am Morgen des 17. Juni die Krankenschwestern bei Dienstantritt nach den Patienten schauten, hatte Patricia sich aus ihrem Bett absentiert. So drückte sich der Verwaltungsleiter aus, als er den Vorfall telefonisch meldete. Hatte sich aus ihrem Bett absentiert. Als wäre es ein Sommerlager. Der Anruf erfolgte um 7:06. Eine halbe Stunde später, um 7:38 auf der Messing-und Walnussuhr an der Wand, saß ich mit einer Tasse bitteren Kaffees in der Hand im Büro des Verwaltungsleiters und beobachtete besagten Mann, Daniel Covici, MBA, CEO, wie er seinen Daumen über die polierte Oberfläche seines Schreibtisches rieb. Es war natürlich ein Schreibtisch des Krankenhauses, aber ich hegte auch nicht den geringsten Zweifel, dass er ihn als seinen eigenen betrachtete.
    Die meisten Ermittlungen sind nur wenig mehr als Malen
nach Zahlen. Man stellt eine Reihe von Fragen in der richtigen Reihenfolge; wenn sie nicht beantwortet werden, fragt man nochmals nach, und früher oder später führt dein Weg zu einem Ehemann oder einer Ehefrau, einem verschmähten Freund oder Freundin, Geschäftspartner, Elternteil, jüngeren Bruder, Gärtner, exzentrischen Onkel oder neidischen Nachbarn. Auch hier war es nicht anders. Es dauerte keine Stunde, bis ich unten in der Personalabteilung, wo ich eine Liste von Kündigungen der vergangenen Wochen durchsah, über den Namen eines Krankenpflegers stolperte, der ohne jede Vorankündigung am 16. Juni nach Schichtende seinen Dienst quittiert und als Grund lediglich angegeben hatte, einen besseren Job gefunden zu haben. Er war sechzehn Jahre im Krankenhaus angestellt gewesen. Douglas Lynds. Wohnhaft an einer Straße, die damals Southwestern hieß. Ein winziges, freistehendes Holzhaus.
    Von der Straße aus erhaschte man durch die Bäume einen Blick auf die gotischen Turmspitzen und Bogenpfeiler der Universität. Das Haus stand zehn bis zwölf Meter von der Straße entfernt, wobei man den Vorgarten kaum als solchen bezeichnen konnte. Reste alter Grundmauern ragten aus dem Boden hervor wie Zähne, die bis zum

Weitere Kostenlose Bücher