Turner 01 - Dunkle Schuld
tun.«
Hard as I looked, no one looked like you.
»Die meisten meiner Klienten waren äußerst pflichtbewusst, was ihr Leben und ihre Arbeit betraf. Manche leisteten Außergewöhnliches in dem, was sie taten. Aber ohne Ausnahme waren ihre Seelen verbogen und deformiert, sie litten Höllenqualen - eine Ansammlung von Quasimodos. Ob ihre Wunden nun real waren oder nicht, das spielte letzten Endes keine Rolle, denn es zählte allein ihr Glaube an diese Wunden. Ich habe mich bloß zurückgelehnt und einfach zugehört. Gelegentlich erzählte ich ihnen, wenn man einen guten Jazz-Gitarristen hört, meint man, er wisse etwas, was wir anderen nicht wissen, er besäße ein tieferes Verständnis dafür, wie alles miteinander zusammenhängt, doch so ist es nicht, denn er hat lediglich dieses eine kleine, ganz spezielle Können - sein Talent, das er zufällig besitzt - bis zur Meisterschaft perfektioniert. Klar, er hat über Hundert verschiedene Möglichkeiten, von hier nach da zu kommen. Aber die eine, die allerwichtigste Sache, die er weiß, ist letzten Endes die, dass er Finger und Verstand immer in Bewegung halten muss.«
Um uns herum war es still geworden in der Stadt. Von Zeit zu Zeit klingelt das Telefon, oder das Funkgerät erwacht knackend und knisternd zum Leben.
»Hat Ihr Vater Ihnen sonst noch was erzählt?«
June schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Ich weiß natürlich, dass Sie Detective waren.«
Und so, ohne einen richtigen Grund dafür zu haben au ßer, dass es sich zu dem Zeitpunkt richtig anfühlte, erzählte ich ihr alles. Mein unerklärter Krieg, die Straßen von Memphis, Randy, das Gefängnis und Backbone - all das. Schon
erstaunlich, wie wenig Platz ein Leben einnimmt, letzten Endes. Dass es in einen so kleinen Umschlag passt.
Als ich fertig war, saß sie eine ganze Weile still da, bevor sie sagte: »Das schreit jetzt zur Abwechslung mal nach einem guten Kaffee.« Minuten später hatte ein Junge aus dem Diner was rübergebracht, und wir schlürften das Ergebnis. »Wir haben eine Abmachung«, sagte June, als ich zahlen wollte.
»Weiß Ihr Vater davon?«
»Sheriff Lonnie? So nennen ihn die Leute hier in der Gegend, wissen Sie. Die würden ihm zum Geburtstag einen Panzer schenken, wenn sie meinten, er wünsche sich einen. Klar weiß er das. Sheriff Lonnie weiß alles. Er findet nur vieles nicht besonders gut.«
»Sie eingeschlossen?«
June sah mich über den Rand ihres Bechers an. »Ich bin schlecht«, stand da drauf. Sie zuckte die Achseln. Das Telefon klingelte, und als wolle sie das Achselzucken einfach zu einer einzigen, geschmeidigen Bewegung erweitern, nahm sie den Hörer ab.
»Hi, Daddy … Bislang alles ruhig. Velmas Junge ist wieder da … Klingt wie immer. - Don Lee ist auf dem Weg hinaus … Mir geht’s gut … Nein … Nein.«
»Was, zum Teufel …«, sagte ich und starrte aus dem Fenster.
Eine Karawane uralter Trucks, Autos und Kombis paradierte die Main Street hinunter. Wie bei den Planwagen in Wildwestfilmen waren Besitztümer - Möbel, Haushaltswaren, Töpfe und Pfannen, Kisten, etwas, das wie zusammengerolltes Bettzeug aussah - auf die Ladeflächen der
Laster und die Dächer von Lieferwagen gebunden und ragten unter Kofferraumklappen hervor, die mit Seilen zugeschnürt waren.
»Die Zigeuner sind gerade angekommen, Daddy … Du hast gesagt, sie würden dieses Jahr früh kommen, schätze, du hattest Recht … Wieder bei Old Meador? … Sie hinterlassen wenigstens alles sauber …«
»Früher kamen sie mit dem Volksfest«, erzählte June, nachdem sie aufgelegt hatte. »Sie hatten Karussells, die an irgendwelche Konstruktionen aus Metallbaukästen erinnerten, Geschicklichkeitsspiele, Imbissbuden, vielleicht ein Zelt mit einer Freak-Show, Bauchtänzerinnen, Muskelmänner. Nachmittags fielen sie dann in die Stadt ein. Gingen in Geschäfte, und während einer vorn an der Kasse Schnur oder ein Waschbrett bezahlte, bedienten sich andere großzügig und packten ein. Sie zogen von Tür zu Tür, verkauften Schmuck und handgefärbte Baumwollröcke und Fleischpasteten, und wenn sie wieder fort waren, stellten die Leute fest, dass das eine oder andere fehlte, eine vergoldete Statue hier, ein Humidor oder ein Pokal aus Kristallglas da.
Als dann nach und nach keine Jahrmärkte mehr stattfanden, kamen die Zigeuner dennoch wieder, Jahr für Jahr, wie Drosseln und Kolibris. Aber die Schausteller-Mentalität - als Ausrede, Vorwand - verschwand mit den Volksfesten. Jetzt blieben sie
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