Turner 01 - Dunkle Schuld
Kartoffelbrei daneben.
»Nur damit er weiß, von wem der Gruß kommt«, sagte Billy zu mir. »Die Mitteilung selbst, wie sie aussieht - das überlasse ich alles dir. Du bist doch ein einfallsreicher Bursche, stimmt’s? Wenn alles läuft wie geplant, komme ich in vier, fünf Jahren raus. Hundertpro wird Roy die Jahre mit runterzählen. Ich will ihm dabei nur ein bisschen helfen, soll er schon mal drüber nachdenken, auf was er sich freuen kann, ja?«
»Ich werde ihn schön von dir grüßen.«
Obwohl es die Konsistenz von pampigem Brot hatte, nahm Billy Messer und Gabel, um sein Frühstücksfleisch in kleine, exakte Quadrate zu zerteilen. Er füllte den Mund mit einem Happen Frühstücksfleisch, ließ dem eine halbe Gabel Kartoffelbrei folgen, anschließend eine weitere Gabel mit Gemüse, von dem eine fast farblose, entfernt grüne, irgendwie fettige Flüssigkeit auf sein Jeanshemd tropfte.
»Roy ist auch nicht annähernd so nett wie ich.«
»Dann sollte ich ihm vielleicht mehr als nur Grüße von dir überbringen.«
Billy lächelte, zeigte schmale, braune Zähne, Frühstücksfleisch und stängelige Gemüsereste.
Am Nachbartisch schaufelte ein Knastbruder sich das Essen
mit zwei gekrümmten Fingern in den Mund. Mit seinen gerade mal hundert Pfund hatte er dennoch eine Statur wie ein fetter Mann: Der Kopf saß direkt auf seinen Schultern, deutlich abstehende Bizeps, Oberschenkel wie sich absto ßende Magnete, die Knie gespreizt, die Füße in einem V. Billy schaute einen Moment zu und schüttelte den Kopf.
»Wenn ein Mann nicht auf sich achtet, sich nicht respektiert, wie kann er da erwarten, dass andere es tun?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach.«
»Ja. Ja, letzten Endes ist jeder einzelne von uns wie dieser jämmerliche arme Hund da, stimmt’s? Wir sind wie ein einziger beschissener Fingerabdruck.« Billys Aufmerksamkeit verlagerte sich. »Hör zu. Ich weiß das sehr zu schätzen, Turner. Beweist, was ich die ganze Zeit gesagt habe.«
»Die ganze Zeit, hä?«
Er lächelte wieder, ohne Frühstücksfleisch diesmal. »Lang genug.«
Und so war es. Wir waren alle am selben Strand angeschwemmt worden, mussten hier ganz von vorne anfangen, mussten uns unser jeweiliges Leben in einer wie merkwürdig auch immer erscheinenden Annäherung an Zivilisation selbst neu aufbauen, so gut wir konnten. Kennen Sie das, wenn Leute mit ihren Händen Schattenfiguren auf die Wand werfen? Genau so ist das Leben im Knast, mit den Händen, dem Verstand und dem Herzen harte Schatten werfen und dann so tun, als wären sie real.
Als er fertig war, legte Billy Gabel und Messer nebeneinander in den oberen Teil des Tabletts, perfekt ausgerichtet, die Griffe einen Zoll auseinander.
»Woher stammst du eigentlich, Turner? Aus einer Welt so
weit weg, dass wir ein Scheißteleskop brauchen, um sie zu sehen? Ist dein alter Herr jeden Morgen in einem weißen Perma-Prest-Smokinghemd zur Arbeit gegangen?«
»Einen Großteil seines Lebens, über vierzig Jahre lang, hat er bis zu seiner Schließung im Sägewerk im Ort gearbeitet. Danach hat er nicht mehr viel getan, das Aufstehen vom Küchentisch schon inbegriffen. Banjo-Spieler hatten früher eine Stimmmethode namens sawmill. Denn dort arbeiteten die Spieler alle, in den Sägewerken, und so vielen von ihnen fehlten Finger. Durch die sawmill-Stimmung konnte man so ziemlich alles mit einem oder zwei Fingern spielen.
Billy sah mich direkt an. »Wie ich schon sagte, wir haben dich falsch eingeschätzt.«
»Kommt vor.«
»Jeder wusste, dass du mal ein Bulle warst. Aber du hast dich todsicher nicht wie einer aufgeführt. Die ersten paar Typen, die auf dich zugegangen sind, und der Letzte, die hast du nachhaltig zum Schweigen gebracht. Und dann hast du dich in eine Art College-Knaben verwandelt. Was, zum Geier, sollte das denn? Wer ist dieser Typ?«
»Einer von euch.«
»Da sind wir dann am Ende auch hintergekommen. Ungefähr gleichzeitig mit dir.«
»Bewegung jetzt«, rief ein Wärter. »Hier warten auch noch andere.« Wir standen in einer Schlange, um die Teller und Tabletts an einem Ende des Kasinos durch eine Öffnung zu reichen. Dahinter kratzte Frischfleisch - Neuankömmlinge, die immer KD bekamen - Speisereste in Zweihundert-Liter-Fässer, spritzten Tabletts in Spülen aus rostfreiem Stahl ab und räumten sie dann in offene Gestelle,
in die immer sechzig Stück hineinpassten. Der Schweiß, der den Arbeitern übers Gesicht lief, konkurrierte mit dem Wasser aus den Schläuchen.
Wir
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