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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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einer gut gekleideten Frau, ungefähr zehn Jahre jünger als ich selbst. Ihr schlichtes schwarzes Kleid umspielte locker ihren Körper, wobei es irgendwie nur andeutete, was darunter verborgen war. Als sie ihr Glas hob, rutschten silberne Armreifen ihr Handgelenk hinab, und ihre Ringe fingen das Licht ein. Wir verbrachten die letzte Stunde damit, brillante Bemerkungen auszutauschen, wobei wir sorgfältig darauf achteten, den Sicherheitsabstand von drei Barhockern nicht zu verletzen.
    Junie zapfte das Bier, das ich bestellt hatte, und stellte es vor mich hin.
    »Dollar-zehn.«
    Ich legte zwei Einer auf die Theke und schwang die Knie seitlich fort, von Nordnordost nach Südsüdwest, um über die Zubringerstraße hinauszublicken. Klägliche Bäume bogen sich im Fahrtwind von der Autobahn. Langsam wie Gletscher schleppten sich Wolken über den Himmel. Ich leerte das Bier in wenigen Zügen und bestellte ein weiteres. Junie brachte es und blieb. Die Augen wanderten zu dem Fernseher, der auf einigen alten Telefonbüchern am Ende der Theke stand. Eine ältere Frau mit reichlich Sexappeal erinnerte ihren Liebhaber, wie leidenschaftlich sie einst gewesen wären, wie sehr sich alles verändert hätte, und fragte ihn, wieder und wieder, nach dem Warum. Den Wert dieser Produktion mal beiseitegelassen, wusste man einfach, dass dies nur eine Seifenoper sein konnte. Seifenopern waren der einzige Ort im Fernsehen, an dem man ältere Frauen mit Sexappeal zu sehen bekam.
    »Sie sind Turner, stimmt’s? Drüben aus dem Paradise?«
    Ich gestand.
    »Überrascht es Sie zu hören, dass ein Mann herumgeschnüffelt hat, Fragen gestellt hat?«
    »Nicht wirklich, nein.«
    »So wie die aussahen, waren sie von hier. Ich schätze mal, die werden auch schon drüben gewesen sein und einen Blick in Ihr Zimmer geworfen haben.«
    Ich legte zwei weitere Dollar zwischen uns. Wie von Zauberhand verwandelten sie sich in ein Bier. Auf dem Bildschirm sprach ein junger Mann mit silbernen Kreuzen als Ohrringen, stahlblauen Augen und kohlrabenschwarzen Haaren, zu gleichen Teilen Trägheit und Ehrgeiz ausstrahlend, intensiv in die Kamera.
    »Erst kürzlich wieder auf der Straße?«, fragte Junie.
    »Wird jetzt eine Woche.«
    »Und scheint schon viel länger zu sein, wette ich. Kommen Sie zurecht?«
    »Sie kennen sich damit aus, oder?«
    »Ein bisschen. Den größten Teil meines Lebens, bevor ich diese freundliche Umgebung gefunden habe, die Sie hier sehen« - sein Arm senkte und hob sich, wie ein Stierkämpfer seinen roten Umhang -, »war ich Bulle.«
    An diesem Abend war ich wieder der Letzte, der die Kneipe verließ, diesmal saß ich allerdings nicht drei Barhocker entfernt von einer geheimnisvollen Schönen, sondern zuerst gegenüber und dann neben dem Besitzer der Bar. Ich hatte verraten, dass ich ebenfalls Bulle gewesen war, also erzählten wir uns über eine Stunde lang Kriegsgeschichten. Danach saßen wir eine Weile schweigend da.
    »Verheiratet?«

    »Lange her.«
    Ein Hexenzirkel von Sirenen kreischte draußen vorbei. Feuerwehrwagen, Krankenwagen, ein oder zwei Streifenwagen, so hörte es sich zumindest an. Auf der Autobahn oder näher?
    »Die Leute fragen sich, warum, zum Teufel, ich den Laden hier behalte«, erzählte Junie. »Kerle, mit denen ich zusammengearbeitet habe, kommen her, trinken ein Bier, schauen sich um und schütteln den Kopf.«
    Biere waren vorbeigezogen wie bei einer Parade, jedes trat stolz an die Stelle des vorhergehenden. Dann waren alle anderen fort, die Türen abgeschlossen, eine einzige Lampe über der Theke brannte noch, die Musikbox aus, dafür spielte Bluegrass aus einem Kassettenrekorder neben der Kasse. Junie verschwand kurz in der Küche, um eine Pizza zu holen. »Tiefgefroren«, sagte er, »aber ich habe frische Champignons und Salami draufgelegt, bevor sie in den Ofen gewandert ist.« Ich erinnerte mich an eine Pizza, die ich viele Jahre zuvor in einem der allerersten schicken Restaurants von Memphis gegessen hatte, damals als die Beale Street gerade erst wiederbelebt und Mud Island zu einem Pilgerort wurde: Eichhörnchen mit reichlich Feta-Käse und Artischocken. Was kommt als Nächstes?, dachte ich damals - Stinktier mit Pesto an einem Polenta-Bett?
    Seite an Seite leckten Junie und ich, zwei Männer in einem Boot, uns die Lippen, leckten Fett und geschmolzenen Käse von den Fingern, klaubten Salami und Champignons auf, die runtergefallen waren.
    »Es gab mal eine Zeit, da ist praktisch jeder, der auf dem Weg zu den

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