Turner 01 - Dunkle Schuld
sein, sondern auch, dass der Saft seiner Batterien kein Jahr mehr halten würde, als
jemand gegen die Scheibe klopfte. Erschrocken drehte ich mich um. Niemand sollte jemals so nahe kommen dürfen, ohne dass ich etwas davon mitbekam.
Ich versuchte, die Seitenscheibe runterzukurbeln, was aber nicht funktionierte, also stieg ich aus.
»Wieder ganz der Gentleman«, sagte Val. »Haben Sie zufälligerweise Hunger? Ich bin ziemlich sicher, dass einer von uns dem anderen noch ein Essen schuldig ist.«
»Ich hatte Pläne.«
»Oh.«
»Natürlich bestanden diese Pläne ausschließlich darin, nach Hause zu fahren und eine halbe Flasche richtig guten Cabernet zu trinken.«
»Was denn? Und die andere Hälfte einfach umkommen lassen?«
»Das ist eine Schande, oder? Wollen Sie mal sehen, wo ich lebe?«
»Wollen Sie mich etwa zu einem Ausflug einladen?«
»Eigentlich eher zu einem Einflug.«
»Klingt nicht schlecht.«
»Vielleicht gelingt es mir ja sogar noch, eine Handvoll Reis zusammenzukratzen.«
»Aber keinen braunen, hoffe ich. Bei euch Einsiedler-Typen kann man nie wissen.« Sie ging zur Beifahrerseite hinüber. »Und außerdem darf ich in diesem coolen Auto mitfahren! Ein richtig glückliches Mädchen.«
Gemeinsam, sie von außen ziehend und ich von innen schiebend, bekamen wir die Tür auf. Schon bald hatten wir die Stadt hinter uns gelassen, verbannt in die Mondprovinz, allein in Gesellschaft der Eulen. Keiner von uns verlor ein
Wort darüber, wie wunderschön es hier draußen war, auch wenn wir es beide dachten.
»Übrigens«, sagte Val, »hab ich erwähnt, dass ich heute den schlimmsten Tag meines Lebens hatte?«
»Nicht, dass ich mich dran erinnere.«
»Nein? Gut. Ich hatte gehofft, es nicht zur Sprache zu bringen.«
Das Radio bekam bloß einen einzigen Sender herein. Gedämpftes Geplapper und Lieder aus der Dämmerung der Menschheit. Val drehte den Senderknopf, fand nur statisches Rauschen und drehte ihn zurück. Herman’s Hermits, Girlgroups, »Under the Boardwalk«. Sie setzte sich zurück, lehnte den Kopf an, und Augenblicke später schien sie eingeschlafen zu sein.
»Bin ich nicht«, sagte sie, als ich vor der Hütte hielt. »Fast, aber nicht ganz. Hab gedöst …« Sie drehte sich zu mir. Grüne Augen öffneten sich und fanden meine.
Wir gingen hinein.
»Wow, warum habe ich das Gefühl, als würde ich jemandes Kopf betreten?«
»Es wurde mir alles viel zu kompliziert. Ich wollte es so einfach wie nur möglich halten.«
Ein alter Küchentisch aus Holz vor dem Fenster, ein einzelner Stuhl. Das Bett gegenüber - eigentlich kaum mehr als eine Pritsche. Hemden und Hosen auf Bügeln hingen an Nägeln in der Wand. Stapel von T-Shirts, Socken und Unterwäsche unter der Pritsche verstaut. Ein Waschbecken und eine Wasserkanne auf der Arbeitsfläche. (Die Pumpe direkt draußen.) Zahnbürste und Rasierer daneben. Bücher in unberührten Stapeln entlang der rückwärtigen Wand.
Ich entkorkte den Wein, es war einer dieser neuen Korken aus Kunststoff, und schlug vor, dass wir uns hinaus auf die Veranda setzten.
»Vielleicht sollte ich auf Einweckgläsern bestehen.«
»Und auf Pökelfleisch auf Toastecken.«
Das leise, unbestimmte Wispern, das zum Leben im Wald einfach dazugehört, erklang um uns herum. Entweder das oder absolute Stille, so schien es. In der Ferne schrie irgendwas einmal … ein Speer, geworfen in der Nacht. Wir beobachteten, wie eine Silhouette, vielleicht auch zwei Irgendwas am Mond vorbeizogen.
»Die Welt ist ein Dreckloch, stimmt’s?«
Ich griff nach der Flasche auf dem Boden neben meinem Stuhl und schenkte uns nach. Ein australischer Wein, anderthalb Liter. Uns würde der Gesprächsstoff ausgehen, bevor uns der Wein ausging. Auf dem Etikett das Bild eines Koalas, eine vom Aussterben bedrohte Art. Als wären wir das nicht alle.
»Bis auf die Musik«, fügte sie hinzu.
Dann, nach einem Moment: »Ich weiß nicht mehr, ob es an mir liegt oder am Job. Mir kommt’s so vor, als gefiele mir nicht, was ich zu sehen bekomme, egal welche Tür ich aufmache.«
Sie hielt mir ihr Glas hin, wollte noch Wein.
»Erinnern Sie sich an den Abend, als wir auf meiner Veranda gesessen und kaum ein Wort geredet haben, während um uns herum die Nacht so vollkommen still war?«
Ich nickte.
»Ich denke oft daran zurück«, sagte sie.
Kapitel Dreißig
Nicht viele Schichten sind so. Meistens kommt man raus auf die Straße und hechelt schon hinterher, das Tanzkärtchen füllt sich schneller mit Namen,
Weitere Kostenlose Bücher