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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Synagoge zu begleiten.
    »Du gehst in die Synagoge? Wann hast du denn damit angefangen?«
    »Das weißt du doch.«
    »Und ist das in Ordnung, wenn ich da mitkomme?«
    Wir fuhren zu der Adresse Birch Street 102 A, Doppelhäuser in einem neuerdings modern gewordenen Stadtteil. Die Immobilienpreise waren hier buchstäblich durch die Decke gegangen. Jahre später wurde ein Wort für das geprägt, was hier passierte: Gentrifizierung oder Aufwertung des Wohnumfelds durch gezielte und selektive Veränderung der Bevölkerungsstruktur sowie durch Sanierung und Umbau. Bagger pflügten den Boden, erst leicht und dann gründlich, machten Häuser, kleine Läden in Garagengröße und alte Einkaufsmeilen platt, um Platz für eine neue Aussaat zu schaffen.
    Ich erinnere mich, wie ich Randy fragte: »Alles okay bei dir?« Er machte keine Anstalten, den Streifenwagen zu verlassen.
    »Alles bestens«, sagte er. »Ich weiß nur nicht, ob ich das hier kann.«
    »Was jetzt?«
    »Ach, egal.« Er schwang die Beine aus dem Wagen, richtete sich auf und setzte mit einer Bewegung, die mir schon so vertraut war, seine Mütze auf, wobei er sich gleichzeitig mit der anderen Hand die Haare glatt strich. »Vergiss, was ich gesagt habe.«
    Vorsichtig und wachsam wie immer gingen wir den Weg zum Eingang hinauf. Mehrere angrenzende Häuser wirkten
sehr gepflegt, aber auch unbewohnt, genau wie die andere Hälfte des Doppelhauses. Gardinen hinter dem Panoramafenster nebenan bewegten sich. Wahrscheinlich die Person, die angerufen hatte und nun ihren oder seinen Steuergeldern bei der Arbeit zusah.
    »Hast du was dagegen, wenn du hier die Vorhut machst?«, fragte Randy.
    »Nottingham, hm?«
    Polizei-Aberglaube. Irgendwann in den 1950ern rückte eine Streife bei einem Routineeinsatz genau wie wir streng nach Vorschrift einen Gang hinauf vor und klopfte an, nur um durch die geschlossene Haustür von einem Schuss aus einer Schrotflinte begrüßt zu werden. Den vorangehenden Mann, Nottingham, erwischte es voll, und er starb sechs Tage später im Krankenhaus. Sein Partner, ein Grünschnabel, machte alles absolut richtig. Er kontrollierte Puls und Atmung, lief zum Streifenwagen, um den Funkspruch »Officer angeschossen« abzusetzen, und kehrte zurück, um seinem Partner Druckverbände anzulegen. Dann trat er die Tür ein und streckte den Täter mit seinem Gummiknüppel nieder. Und trotzdem, nach diesem einen perfekten Moment, in dem er genau das tat, was er tun sollte, es buchstäblich verkörperte, in dem seine gesamte Ausbildung durch ihn hindurchfloss wie eine lebendige Kraft, war der Grünschnabel nie wieder in der Lage, auf der Straße eingesetzt zu werden. Er versuchte es ein oder zwei Mal, wurde erzählt, arbeitete dann noch einige Jahre weiter im Archiv, kümmerte sich um den Bürobedarf, hatte die Asservatenkammer unter sich, bevor er endlich einen Schlussstrich zog und ging.

    »Ich geb dir Rückendeckung«, sagte Randy.
    »Um meinen Rücken mach ich mir keine Sorgen.«
    Die Tür wurde von einem halbbekleideten Mann geöffnet, dessen Blick über die Uniform, Dienstabzeichen, die seitlich getragene Waffe und den Gürtel mit den verschiedenen Ausrüstungsgegenständen glitt, bevor er mir direkt in die Augen sah. Dann ein zweiter, abweisender Blick zu Randy, der hinter mir stand. Von irgendwo tief aus dem Haus, mit einem Echo wie in einer Höhle, kamen die Laute eines Fernsehers. Und noch etwas anderes?
    »Entschuldigen Sie die Störung, Sir«, sagte ich, »aber wir haben einen Anruf wegen nächtlicher Ruhestörung unter dieser Adresse erhalten.« Geht schon seit Stunden so, hatte der Anrufer gesagt. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir reinkommen?«
    »Nun …«
    »Ich bin überzeugt, da ist nichts dran. Wir müssen Ihnen aber ein paar Routinefragen stellen. Dauert höchstens drei, vier Minuten, versprochen.«
    Er rieb sich das Gesicht. »Hab schon geschlafen.«
    »Ja, Sir. Wie die meisten Menschen nachts um diese Uhrzeit. Das verstehen wir.«
    Er trat aus dem Eingang zurück. Ich folgte ihm in den Raum. Randy blieb unmittelbar hinter der Tür stehen. Er hatte bisher geschwiegen.
    »Jemand hat angerufen, sagten Sie?«
    »Ja, Sir.«
    »Himmel, das tut mir leid. Muss der Fernseher gewesen sein. Meine Frau leidet unter Schlafstörungen.«
    »Klar, das wird’s wohl sein.«

    »Ihre Frau?«, warf Randy ein.
    »Können wir mit ihr sprechen?«, fragte ich.
    »Sie ist gerade ins Bett gegangen, Officer. Sie wäre ziemlich sauer, wenn ich sie jetzt wieder

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