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Turner 01 - Dunkle Schuld

Turner 01 - Dunkle Schuld

Titel: Turner 01 - Dunkle Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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zwei Beinen herum und redeten. Als wir klingelten, tauchten plötzlich zwei kleinere Köpfe zwischen den größeren auf und schauten in unsere Richtung. Eine attraktive Frau kam zur Tür.
    »Lonnie! Wie lange ist es schon her?«
    »Zu lange, wie immer, Mildred.«

    Er stellte uns einander vor. Ein wunderschönes Lächeln, ein Auge (Träge? Künstlich?), das sich nicht bewegte. Irgendwie wollte man auch in die Richtung schauen, um zu wissen, was es sah.
    »Kommt rein, Jungs. Horace, sieh nur, wer hier ist! Was darf ich euch anbieten?«
    »Nichts, danke. Sobald ich hier wieder verschwinde, fahre ich nach Hause zum Abendbrot.«
    Lonnie schüttelte Horace die Hand, stellte mich dann vor, und ich war dran. Horace war ein großer Mann mit einem Haarschopf, goldgelb wie Heu. Er stand leicht nach links geneigt, als hätte sein ganzes Leben lang ein kräftiger Wind permanent aus Osten geweht. Modelle und Collagen schmückten jede Wand. Grazile Figurinen standen auf Regalen.
    Mildred drehte sich zu den Kindern.
    »Wisst ihr, fast hätte ich vergessen, es euch zu erzählen, aber als ich heute Nachmittag ins Tiefkühlfach geschaut habe, weil ich Leber suchte - und ich habe sie nicht gefunden, wie ihr sehr wohl wisst, da wir ja Hamburger gegessen haben -, da hab ich gesehen, dass irgendwer eine Riesenpackung Eiscreme dort hineingeschmuggelt hat. Ich weiß nicht, aber ich habe mich gerade gefragt, ob ihr vielleicht, nachdem ihr euch bettfein gemacht habt, Lust hättet, davon was zu probieren.«
    »Es geht um Sue«, sagte Lonnie, nachdem die Kids fort waren.
    »Wir wissen, was da vor sich gegangen ist, Lonnie. Alle wissen es.« Das war Horace.
    »Es geht ihr so weit gut. Alban auch.«

    Mildred: »Gott sei Dank.«
    »Irgendwie ist Sue an eine Schrotflinte gekommen. Ich glaube eigentlich nicht, dass sie viel mehr wollte, als ihm gehörig Angst einzujagen. Wahrscheinlich hat sie auf ihn gewartet, wie er nach Hause geschlichen kam …«
    »Er wird freche Antworten gegeben haben.«
    »Hatte schon immer ein vorlautes Mundwerk.«
    »Don Lee glaubt, dass sie die Waffe im letzten Augenblick absichtlich verzogen hat.«
    »Du meinst, als sie schon abgedrückt hat?«, fragte Horace.
    Bates nickte.
    »Hätte nicht gedacht, dass sie dazu den Mumm hat.«
    Horace und Mildred wechselten Blicke.
    »Alban geht’s gut«, sagte Bates. »Er wird in ein oder zwei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Es wird eine Voruntersuchung durchgeführt werden müssen, aber das hat nicht viel zu besagen. Sue müsste ungefähr zur gleichen Zeit wieder zu Hause sein.«
    »Wir wollen unsere Enkel behalten, Lonnie.«
    »Entschuldigung?«
    »Wir wollen nicht, dass sie wieder dorthin zurückgehen.«
    »Wir lieben Sue …«
    »… und Alban …«
    »… aber das geht nun schon lange genug so.«
    »Ihr wollt Freda und Gerry ihren Eltern wegnehmen? Klar, sie haben Probleme. Wer von uns hat keine? Aber ihr müsst wissen, wie sehr sie diese Kinder lieben, wie viel sie ihnen bedeuten. Nehmt ihnen die Kinder weg, und sie gehen vor die Hunde.«

    »Glaubst du vielleicht, das wollen wir? Es ist zu ihrem eigenen Besten.«
    »Das ist es immer.«
    Anschließend folgte ich ihm zum Jeep. Inzwischen war es stockfinster. Auf beiden Seiten der Straße riefen verloren die Frösche. Ein Mond, so weiß wie gebleichter Knochen, hing am Nachthimmel. Es dauerte eine ganze Weile, bis Lonnie sprach.
    »Ich hasse diese Scheiße«, sagte er, »hasse sie abgrundtief. Jeder hat Recht. Und alle verlieren.«
    »Ja, das stimmt.« Ein oder zwei Meilen weiter die Straße hinauf fügte ich dann hinzu: »Aber nach allem, was ich so mitkriege, tun Sie hier oben eine Menge Gutes. Sie helfen den Menschen, bringen sie zusammen, stützen ihr Leben. All das, wovon wir am Anfang glaubten, dass es genau darum in diesem Job ginge.«
    »Und dann verändert es sich?«
    »Oder man verändert sich. Man hört sich die hundertundzehnte Erklärung an und erkennt, dass es einen nicht mehr interessiert, man will es einfach nicht mehr wissen. Menschen helfen? Die Gemeinde, das Gemeinwesen verbessern? Hey!, sagt man sich, du bist lediglich der Hund, der aufpasst, dass das Vieh nicht auf Abwege gerät.«
    Lonnie setzte mich am Büro ab. Vor einigen Tagen hatte er mir einen alten Wagen geliehen, den er in der Garage stehen hatte; ich hatte vor, in die Blockhütte zurückzukehren. Im Wagen starrte ich auf den Boden, musste an einen Patienten denken, den ich mal hatte, an Jimmie, der nicht nur überzeugt war, eine Maschine zu

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