Turner 01 - Dunkle Schuld
als man gucken kann. Den größten Teil dieser Schicht verbrachten wir damit, an Türen zu rütteln und uns langsam durch dunkle Gassen zu schleppen. Hatten mindestens zwei Stunden oder länger keine Einsatzbefehle, und als wir schließlich einen erhielten, war es ein Seht-mal-nachder-Lady, der sich als ein Fall von vermisstem Ehemann entpuppte. Wir waren schon zwanzig Minuten mit dem Einsatz beschäftigt und hatten das Protokoll bereits zur Hälfte fertig, als eine ihrer Antworten auf eine Routinefrage mich aufhorchen ließ. Mit Nachfragen konnten wir ihr dann schließlich entlocken, dass ihr Mann bereits vor zehn Jahren gestorben war.
Zurück im Wagen schüttelte ich den Kopf.
»Was ist?«, fragte Randy.
»Das hier.«
Randy sah zu mir rüber, als ich wieder auf die Straße fuhr.
»Hast du das offene Küchenfenster gesehen?«, fragte er. »Die Untertasse mit Milch auf der Fensterbank?«
Ich musste zugeben, dass es mir nicht aufgefallen war.
»Die Frau ist einsam, das ist alles. So einsam, dass alles in ihrem Leben die Form ihrer Einsamkeit annimmt.«
Der nächste Einsatzbefehl schickte uns zu einem kleinen
Lebensmittelladen, wo der Eigentümer-Besitzer angeblich einen Ladendieb in Gewahrsam genommen hatte. Er hatte ein Springseil aus einem der Regale genommen und den Ladendieb damit an selbiges gefesselt, nachdem er ihn mit einem Baseballschläger durch einen Schlag auf den Oberschenkel niedergestreckt hatte. Aber während er am Telefon gewesen war, hatte sich der Ladendieb durch das Seil gekaut und war aus der Tür gehoppelt.
Dann wieder eine lange Zeit gar nichts. Es war eine dieser klaren, ruhigen Nächte, in denen man doppelt so viele Sterne sieht wie sonst und einen Geräusche nur aus der Ferne erreichen. Wir holten uns Hamburger bei Lucky Jim’s und aßen an einem Picknicktisch, draußen an der East High, der Streifenwagen daneben geparkt, mit offenen Türen, das Radio knackte. Lucky Jim’s Burger isst man nicht im Wagen. Und man braucht keine Extra-Servietten, man braucht Badetücher.
Randy schien klarzukommen. Er zog aus dem Haus aus, bot es zum Verkauf an und fand ein Apartment in der Nähe der Innenstadt. Er ging mindestens drei Mal pro Woche ins Fitness-Studio und sprach sogar davon, einen Kurs zu belegen. Was für einen?, fragte ich. Was auch immer in meinen Arbeitsplan passt, sagte er.
Drei ganz offensichtlich bekiffte Jugendliche im College-Alter hielten in der Nähe ihre eigene Mahlzeit ab, die hauptsächlich aus Süßigkeiten, Chips, Orangenlimo und Dr. Pepper bestand. Sie packten ein und gingen, kurz nachdem wir eingetroffen waren. Zwei andere Leute, genauso offensichtlich von der Straße, saßen unter einem Ahornbaum. Der Mann trug eine Südstaatler-Kappe, an der ein Nackenschutz
hing, und erinnerte mich an all diese Filme von der Fremdenlegion, die ich in meiner Jugend gesehen hatte. Die Frau hatte ganz mutig versucht, so gut wie möglich auszusehen. Sie hatte die Ärmel eines T-Shirts abgeschnitten, dessen Logo und Aufdruck seit langem verblichen war, und hatte es knapp über der Hüfte abgeschnitten. Aufgerollte Hosenbeine zeigten wohlgeformte, aber seit langem misshandelte Waden. »Weißt du, das nervt mich!«, brüllte der Mann gegen Ende unseres Aufenthalts. Sie sprang auf die Füße und ging weg. »Warum willste das machen?«, fragte er, stand kurz darauf selbst auf und folgte ihr.
Ich erinnere mich, dass Randy sich umdrehte und dem Mann hinterherschaute, obwohl wir uns weiter unterhielten, und in diesem unachtsamen Moment tropfte eine Mischung aus Fett, gegrillten Zwiebeln und Senf auf seine Uniform, südwestlich von seinem Dienstabzeichen. Für solche Fälle hatten wir immer Club-Soda im Wagen, genauso wie wir immer Zwei-Liter-Flaschen Cola dabeihatten, die nützlich war, wenn man Batterieklemmen säubern oder Blut an Unfallorten entfernen musste. Aber in diesem Fall versagte die Club-Soda und diente nur dazu, konzentrische Kreise um den ursprünglichen Fleck hinzuzufügen.
Wir fuhren weiter. Es herrschte nur wenig Verkehr.
»Denkst du viel darüber nach, was aus uns wird, wenn wir mal älter sind?«, fragte Randy. »Ich meine, hier sitzen wir, Top-Detectives und immer noch auf Streife. Klingt das für dich wie ein gutes Leben?«
»Wir mögen unsere Einsätze. Es ist unsere freie Entscheidung.«
»Ach ja, ist es das?«
Als das Funkgerät sich zehn Minuten später wieder meldete, schauten wir uns an und lachten. Randy fragte, ob ich Lust hätte, ihn diesen Sabbat in die
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