Turner 01 - Dunkle Schuld
wecke.«
»Bitte.« Diesmal lächelte ich nicht.
Er führte uns aus dem Eingangsbereich drei breite Stufen hinunter in ein gefliestes Wohnzimmer, so groß wie eine Eislaufbahn, und durch einen schmalen Flur in ein kleines Zimmer, das an die Küche grenzte. Holzgetäfelte Wände, ein einziges höher liegendes Fenster, verschiedene Baumwollteppiche hier und da auf dem nackten Betonboden. Nicht viel drin außer zwei Sesseln und einem Fernsehschrank. Eine konische grüne Fernsehlampe stand auf der Konsole - diese Dinger waren gerade in Mode gekommen. Die freie Sitzgelegenheit war ein Fernsehsessel, die andere - ein dick gepolsterter Sessel, irgendwie grünbraun und noppig - erinnerte an einen altmodischen Bettüberwurf.
Die Frau in dem Sessel, die in eine getigerte Decke gewickelt war, antwortete nicht, als ich sie ansprach.
»Es geht ihr nicht so besonders«, sagte der Mann. »Sie ist … gestört. Sehen Sie sie jetzt an. Noch vor einer Stunde hat sie mich angebrüllt und auf mich eingeprügelt. Ist durchs ganze Haus gegangen und hat sämtliche Türen hinter sich zugeknallt.«
»Also war es doch nicht der Fernseher?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das klingt so, als sollten Sie Hilfe für sie holen, Sir.«
»Sie bekommt jede Menge Hilfe. Ich bin derjenige, der keine bekommt.« Seine Augen glitten von seiner Frau zu
mir. »Die meiste Zeit ist sie oben in der Nervenklinik, seit Jahren schon. Ist nur auf Besuch zu Hause.«
Randy tritt um mich herum, sinkt auf die Knie. Presst zwei Finger auf die Halsschlagader der Frau. »Schätzchen, alles in Ordnung?«, fragt er, aber zu diesem Zeitpunkt registriere ich gar nicht so richtig, was er da gerade sagt.
Und hinterher brauchte ich sehr lange, um wirklich zu verstehen, was hier passierte.
Der halbangezogene Typ tritt einen Schritt vor, aus dem Halbdunkel. Seine Hand hebt sich. Hält er etwas in der Hand? Randy glaubt es, ja. Er zieht seine Waffe, steht auf, brüllt den Mann an, er solle die Waffe fallen lassen und sich auf den Boden legen, die Hände hinter den Kopf. Was der Mann in der Hand hatte, war eine Spritze. Die Frau ist Diabetikerin, wie wir später erfahren. Er geht weiter auf sie zu.
Ich sehe zu Randy hinüber, rufe »Nein!«, weiß genau, was jeden Moment passieren wird, und denke nicht lange darüber nach, sondern reagiere nur, so wie antrainiert.
»Was …«, sagt Randy, als ich ziehe und schieße. Ich wollte ihn nur aufhalten, einen Arm oder die Schulter treffen, aber man lernt, auf den Oberkörper zu zielen, sich das größere Ziel auszusuchen, und ich sitze nicht mehr im Fahrersitz, sondern bin auf Automatik geschaltet.
Randy geht nieder.
Am Anfang ist er noch bei Bewusstsein, fällt aber schnell in einen Schock. Ich trete die Smith & Wesson fort von seiner Hand und knie mich neben ihn, um Puls und Atmung zu kontrollieren. Es tut mir so leid, sage ich zu ihm. Dann laufe ich raus zum Wagen, setze den Funkspruch »Officer angeschossen« ab und fordere einen weiteren Krankenwagen
für die Frau an. Als ich wieder ins Haus komme, ist irgendwas passiert, es ist noch schlimmer als vorher. Randy liegt in einer größer werdenden Blutlache, und sein Atem kommt nur stoßweise, wie wenn man von einem Bettlaken Stücke abreißt. Ich ziehe mein Sakko aus und dann mein Hemd, falte es in eine Kompresse und drücke es auf die Wunde. Fast augenblicklich ist das Hemd mit Blut durchtränkt. Ich drücke stärker, halte fester. Meine Arme beginnen zu zittern, und ich bekomme einen Krampf. Das Hemd wird dunkel. Sein Atem wird ruhiger. Viel weniger Blut jetzt. Ich sage ihm wieder, wie schrecklich leid es mir tut.
Zwei, drei Minuten vor Eintreffen der Sanitäter stirbt Randy.
Wie schon gesagt, ich brauchte ziemlich lange, um zu verstehen, was hier passiert war. Wie sich herausstellte, kannte Randy das Haus. Deswegen reagierte er so seltsam, als wir draußen am Bordstein anhielten. Doreen hatte mit dem Typen, der hier lebte, zusammengearbeitet, hatte eine Weile bei ihm gewohnt, nachdem sie Randy verlassen hatte, hatte eine kurze Affäre mit ihm gehabt. Inzwischen war sie längst weitergezogen, aber davon war Randy nicht überzeugt. In all diesen Monaten, in denen ich dachte, er werde über Doreen hinwegkommen, sein Leben wieder in Griff kriegen, verbrachte er einen großen Teil seiner Freizeit in seinem Auto, das er ein Stück die Straße hinunter parkte.
Die Frau in dem Sessel war natürlich nicht Doreen. Aber sie sah ihr sehr ähnlich. Und ich denke, in Randys
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