Turner 02 - Dunkle Vergeltung
ließ die Finger der Länge nach darüber streichen, spannte das Rosshaar und ließ ihn auf seiner Handfläche federn, spannte ihn noch eine Idee mehr.
Dann griff er mit der Linken nach der Geige.
»Sie ist gestimmt«, sagte ich.
Er nickte, klemmte die Geige unter das Kinn und saß einen Moment lang mit geschlossenen Augen da.
Ich weiß nicht mehr, was er damals spielte. Etwas, das ich schon einmal gehört hatte, bei meinem Vater oder Großvater, eine dieser alten Melodien, »Sally Goodin« oder »Blackberry Blossom« vielleicht. Als Nächstes versuchte er einen Walzer.
Er setzte die Geige ab und stützte sie aufs Bein, schaute
auf nichts Bestimmtes in der Ferne und lächelte dabei dieses für ihn so typische angedeutete Lächeln.
»Es ist nur ein altes, billiges Instrument«, sagte ich.
»Nein. Die Geige ist ausgezeichnet«, erwiderte er und legte sie zurück in ihren Kasten, klemmte den Bogen fest, schloss sorgfältig die Haken. Seine Hände zitterten wieder. »Die Musik steckt in ihr drin. Sie ist einfach nur nicht mehr in mir.«
Wir saßen eine ganze Weile da, hörten hinter uns Autos und Laster vorbeifahren, starrten in die Bäume. Gegen Sonnenuntergang, als ich mich anschickte, mich auf den Heimweg zu machen, sagte er: »Schätze, wir werden uns eine Weile nicht mehr so oft sehen.«
Ich nickte, war viel zu jung - schon sehr bald würde sich das ändern -, um Abschiede zu verstehen.
Nach einem Moment fügte er hinzu: »Ich weiß sehr zu schätzen, was du getan hast, Junge.«
Ich nahm den Kasten. Ich hatte ihn neu gestrichen, glänzend schwarz. Im schwindenden Licht sah er aus wie eine Tintenpfütze, wie ein Teich aus Finsternis. »Bist du sicher, dass du sie nicht haben willst?«
Al schüttelte den Kopf. »Ich meine nicht das mit der Geige, aber auch das weiß ich zu schätzen.« Er streckte eine Hand aus und sagte: »Ich möchte dir etwas geben. Hab das hier bekommen, als ich in Übersee war, im Hinterland, wie man so schön sagt, und seitdem trage ich es bei mir. Ich möchte, dass du es mitnimmst. Es soll dein Glücksbringer sein.«
Eine winzige, aus Sandelholz geschnitzte Katze.
Kapitel Neun
Die Morgendämmerung schlug sich stolz auf die rosarote Brust, als ich und Chariot tuckernd anhielten. Die Weltnachrichten im Radio, ein paar Werbespots von Autohändlern, dann plötzlich der Song »Jeremiah was a bullfrog, joy to the world«.
Ein weiteres Herrenhaus auf dem Berg. Zwei Autos, Mercedes, Lincoln, in einer Garage, die ohne jedes Gerümpel war. Davor eine uralte Trauerweide, wie eine schlechte Frisur aus den Sechzigern, aus dem Haus der Duft von frisch gebrühtem Kaffee.
Ein älterer Mann im Frottee-Bademantel an einem Tisch direkt hinter den Verandatüren. Vor ihm ein Weinglas mit Orangensaft, möglicherweise auch Sekt-Orange. Ein Brotkorb, eine Schale Obst. Mehrere Webteppiche auf, wie es aussah, makellos sauberen Saltillo-Fliesen. Mexikanisches Mobiliar in dem Raum dahinter. Rasensprenger wurden hinter mir aktiv, als ich hineinschaute.
Während ich herumschnüffelte, fand ich ein Fenster im Hauswirtschaftsraum, durch das sich einsteigen ließ, und nutzte die Gelegenheit. Blieb dicht beim Fenster stehen, lauschte, öffnete dann lautlos die Tür und lauschte wieder, bevor ich hindurchging. Keine Schritte oder anderen Geräusche, die Bewegung verrieten. Drittklassiger
Soft-Jazz aus einem Radio in dem Raum vor der Veranda.
Er zupfte gerade die Spitze seines Croissants ab, als ich hinter ihn trat und die Daumen auf seinen Hals presste.
»Wenn man die Halsschlagadern abdrückt«, sagte ich, »unterbricht man die Blutversorgung des Gehirns.« Ich erzählte ihm, was ich wissen wollte. »Wir können reden, wenn Sie wieder zu sich kommen«, fügte ich hinzu und verstärkte dabei den Druck, während seine Hände in den Schoß fielen und die anderen nahezu lautlos den Raum betraten. Einer der beiden war vor mir, der andere, der, auf den es ankam, hinter mir. Ich habe keine Ahnung, wo sie zuvor gewesen waren. Ich hätte schwören können, er wäre allein gewesen.
Während ich noch einen Blick von dem Vorderen erhaschte, schaffte ich eine halbe Drehung, bevor der hinter mir heran war und ich dem älteren Mann in der Dunkelheit Gesellschaft leistete.
Ich wachte auf und hatte das Gesicht einer Frau über mir. Der Typ, der hinter mit gestanden hatte, war ein Mann gewesen, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Ebenfalls kaum Zweifel bestand daran, dass ich auf dem Boden lag. Als ich den Kopf nach
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