Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Titel: Turner 02 - Dunkle Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
kennenlernen, Menschen, die in ihrem Innersten verwundet waren, Menschen, die das Leben aufgegeben hatte, aber noch nicht gehen lassen wollte.
    Wie wir uns kennengelernt haben? Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass jeder in der Schule über ihn redete, dann gibt es einen Sprung, wie bei einer alten Schallplatte, und wir warfen gemeinsam Steine in das Blue Hole, das, wie jeder sagte, keinen Grund hatte, dafür aber die Hälfte aller Katzenfische dieser Welt. Oder wir gingen über Big-Billy-Simons-Weide, wobei uns die Kühe misstrauisch beäugten, oder wir saßen unter einem Holzapfelbaum und tranken gemeinsam eine Flasche Cola.
    Es dauerte nicht lange, bis meine Leute davon Wind bekamen und mir sagten, ich solle mich von ihm fernhalten.
Als ich nach dem Grund fragte, sagte Mutter: »Er ist einfach nicht in Ordnung, Junge. Dieser Krieg hat irgendwas mit ihm gemacht.«
    Ich traf mich trotzdem weiter mit ihm, fast jeden Tag nach der Schule. Es war das erste Mal, dass ich mich meinen Eltern offen widersetzte, und unser Verhältnis war für eine Weile angespannt, ehe sie dann aufgaben. Viele darauffolgende Missachtungen der Regeln fanden in völligem Stillschweigen statt.
    Ich war vierzehn, als Al und ich uns kennenlernten; ein paar Jahre später schickte ich mich an, aufs College zu gehen, zuerst in New Orleans, danach in Chicago, kaum ahnend, dass ich nur wenige Jahre später durch Wälder kriechen würde, die denen sehr ähnlich waren, in die Al jeden Tag starrte. Während der Zeit, die ich ihn kannte, war ich über einen halben Meter größer und Al um zwanzig Jahre älter geworden.
    Ich saß eines Tages vor dem Zelt und umwickelte meine Stiefel, als die Post kam. Inzwischen war ich schon bei meinem dritten Paar; in diesem Klima wurde Leder schnell mürbe. Die Franzosen hatten versucht, uns das zu sagen, aber wie üblich haben wir nicht zugehört. Sie hatten versucht, uns eine Menge zu sagen. Jedenfalls war es fünf oder sechs Uhr morgens - danach konnte man nicht mehr viel schlafen, bei all dem Vogelgezwitscher. Bud warf mir ein Bier zu, begleitet von seinem Standardruf: »Frühstück der Champions«, als ich es mir gerade bequem machte, um meinen Brief zu lesen. Mom hatte zwei Seiten über all das geschrieben, was
zu Hause so passierte, wer wen geheiratet hatte, dass heutzutage die Schaufenster so vieler Geschäfte in der Innenstadt mit Brettern zugenagelt wären, dass die alte Methodistenkirche abgebrannt sei. Die Wochenschau aus einer anderen Welt. Und dann, gegen Ende, hatte sie geschrieben: »Und ich muss dir leider mitteilen, dass letzte Woche Al gestorben ist.«
    Ich schnappte mir ein weiteres warmes Bier und ging an den Waldrand, dachte an diesen letzten Sommer zurück.
    Solange ich mich erinnern konnte, hatte eine alte Geige ganz hinten in einem Schrank gelegen, den niemand benutzte, in einem rissigen hölzernen Kasten in der Form eines Sarges. Sie hatte meinem Großvater gehört, der sie neben dem Banjo spielte. Eines Tages fragte ich Dad, ob ich sie haben könne, und nachdem er mich zunächst erst mal sonderbar ansah, da ich bislang noch nie ein größeres Interesse an Musik gezeigt hatte, zuckte er die Achseln und sagte, er sehe keinen Grund, der dagegen spräche. Da war er schon älter; es war, als das Sägewerk dichtgemacht hatte und er meistens den ganzen Tag lang am Küchentisch saß.
    Ich zog mehrere Gummibänder um die Kiste, damit sie nicht auseinander fiel, und brachte sie zu Mr. Cohen, dem Leiter des Schulorchesters, der an manchen Sonntagen in der Kirche Geige spielte. Sehe für ihn wie eine in Deutschland gebaute Geige aus dem neunzehnten Jahrhundert aus, meinte er. Er zog neue Saiten auf, richtete den Steg und schenkte mir einen Bogen, den er übrig
hatte. Es sei kein normal großer Bogen, nur ein Dreiviertelbogen, sagte er, aber es würde schon gehen.
    An diesem Nachmittag ging ich zu Al, die Geige hinter meinem Rücken.
    Er beäugte mich misstrauisch. »Was hast du da, Junge?«
    Ich legte den Geigenkasten auf die Bank und öffnete ihn. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wie ich den Ausdruck nennen soll, der in dem Moment auf sein Gesicht trat. Ich schätze mal, das war wohl so ein Ding, für das es keine Worte gibt.
    »Ist für dich«, sagte ich zu ihm.
    Er sah mich eine ganze Weile fest an, dann nahm er den Bogen heraus. Seine Hände zitterten normalerweise ständig, aber als er den Bogen berührte, hörten sie damit auf. Er wog ihn in einer Hand,

Weitere Kostenlose Bücher