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Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Titel: Turner 02 - Dunkle Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gute Idee sei. Ich erhielt mein Zeugnis in diesem kleinen braunen Umschlag, öffnete ihn, und da hatte ich zwei B-Noten, in Geschichte und Mathe. Einfach so.«
    »Das tut mir leid.«
    »Leid. Ja … wissen Sie, was ich gemacht habe? Ich
habe gelacht. Ich hatte schon immer geargwöhnt, die Welt sei eine ziemlich verachtenswerte Einrichtung, und jetzt hatte ich den Beweis.«
    Nachdem er gegangen war, saß ich da und dachte nach. Die ganze Welt zu verachten ist ein ziemlich großer Brocken für einen einzelnen Menschen, aber viele Menschen tun genau dies. Damals im Gefängnis war die Luft vor lauter Verachtung zum Schneiden dick, man konnte kaum frei durchatmen, sich kaum den Weg durch die Korridore bahnen, das Leben der Männer wurde unter dem enormen Gewicht zu Staub zermalmt. Andererseits war es vielleicht genau das gewesen, was Harris all die Jahre motiviert hatte. Aber dann war es zu Ende gegangen, hatte nicht mehr funktioniert, so wie das manchmal eben ist.
    Mehr als eine Woche später wurde ich darüber informiert, dass Harris von der Polizei aufgegriffen und per Gerichtsbeschluss in die Psychiatrie eingewiesen worden war. Er hatte erklärt, keine Angehörigen zu haben, und hatte meinen Namen angegeben. Ich hatte mir fest vorgenommen, ihn zu besuchen, aber bevor ich dazu kam, brach er in den Vorratsraum des Hausmeisters ein und trank fast einen ganzen Behälter Abflussreiniger aus.
    »Alles okay, Deputy?«
    Ich schob mich vom Schreibtisch zurück und schwenkte meinen Stuhl. J.T. war seit kurzem dazu übergegangen, mich so zu nennen. Was als flüchtiger Scherz begann, wurde zur Gewohnheit. Ich erzählte ihr
von Lou Winter. Sie kam herüber und legte eine Hand auf meinen Arm.
    »Tut mir leid, Dad.«
    In der anderen Hand hielt sie einen Stapel Computerausdrucke.
    »Also hat Stillman es tatsächlich hingekriegt.«
    »Nun, das ist keine Zauberei.«
    Bis heute bin ich nicht so ganz davon überzeugt. Jedenfalls verbrachte ich fast zwei Stunden über diese Blätter gebeugt und versuchte, etwas zu finden, das Stillman womöglich übersehen hatte, eine Unebenheit, einen Riss, eine undichte Stelle, an der man nachboren könnte, und ich erinnerte mich an die Allzweckerwiderung einer Lehrerin aus meiner Collegezeit. Man kam mit einer großartigen Theorie an, die man zusammengeschustert hatte, und sie hörte aufmerksam zu. Dann, wenn man fertig war, sagte sie: »Zufällige Geistesblitze, Mr. Turner. Zufällige Geistesblitze.«
    Gegen elf bewegte ich meine zufälligen Geistesblitze und den dazugehörigen Hintern rüber zum Diner. Das heißdiskutierte Thema des Tages schien zu sein, ob der große Supermarkt draußen am Highway hinter Poplar Bluff jemals aufmachen würde oder nicht. Vor Monaten war der Grundstein gelegt und der Bauplatz asphaltiert worden, Mauern wie große Puzzleteile wurden errichtet, und dann kam alles schlagartig zum Erliegen - weil nämlich, wie die meisten vermuteten, das komplexe Netzwerk aus Schmiergeldern im County und Bestechungen auf Bundesebene irgendwie gerissen war. Ich
saß über meinem Kaffee, lauschte dem Stimmengewirr um mich herum und bemerkte, wie draußen vor dem Fenster alles ausgeblichen wirkte, so als bestünde die Welt nur aus zwei blassen Farben. Aber das lag allein an mir, nicht am Licht.
    Wo hatte ich das gelesen: Die zerbrochenen Flaschen, die unser Leben darstellen?
    »Hast du das von Sissy Coppersmith gehört?«
    Sy Butts rutschte in die Sitznische gegenüber. Alle sagten, diese alte Jägerjacke aus Segeltuch trüge er schon seit seiner Kindheit. Inzwischen ging Sy hart auf die sechzig zu. Die aufgesetzten Hasentaschen für Niederwild waren längst verschwunden; hier und dort schien Licht hindurch, wie aus kleinen Türen.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Sally brachte seinen Kaffee und schenkte mir zum dritten oder vierten Mal nach.
    »Weißt du noch, wie sie als Schwesternhelferin gearbeitet hat, von Haus zu Haus gegangen ist und sich um die alten Leute gekümmert hat? Hatte ein Händchen dafür, hieß es. Nun ja, sie hat Geld gespart für dieses Seminar, irgendwo Richtung West-Memphis. Das war letzte Woche. Ist am Freitagmorgen in den Bus gestiegen, und seitdem hat kein Mensch mehr was von ihr gehört … Bin überrascht, dass Lon und Sandra noch nicht bei dir vorbeigekommen sind.«
    »Wie alt ist sie? Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig? Außer eine Vermisstenanzeige aufzugeben, können sie nicht viel tun.«

    »Konnten nie viel tun, bei dem Mädel. Süß wie frischer Apfelwein, aber sie

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