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Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Titel: Turner 02 - Dunkle Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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treffen uns beim Camp.«
    »Du meinst bei Stillman.«
    »Genau. Wir haben gerade einen Anruf erhalten. Ein bisschen konfus - aber ich glaube, es war Moira.«

Kapitel Sechsundzwanzig
    Damals, bevor ich herkam, fuhr ich aus Gründen, die mir nach wie vor schleierhaft sind, nach Hause - eines dieser willkürlichen, unsinnigen und skurrilen Bedürfnisse, die uns gelegentlich und anscheinend besonders gern in der Lebensmitte überkommen. Ich sollte wohl nicht »nach Hause« sagen, sondern eher: dorthin, wo ich aufgewachsen bin.
    Es war nie eine besonders tolle Stadt gewesen. Heute war es noch nicht einmal mehr das. Viele Geschäfte entlang der Main Street waren zugenagelt. Vor anderen saßen die Ladenbesitzer auf Gartenstühlen und verfolgten mit langsamen Kopfbewegungen mein Vorankommen auf dem gegenüberliegenden, rissigen, noch aus der New-Deal-Ära stammenden Bürgersteig. Jede dritte oder vierte Schwelle der Bahngleise fehlte, die Schienen selbst waren von Unkraut überwuchert. In der Nähe lag ein Schwellennagel, daneben die ausgetrocknete, mumifizierte Haut einer Eidechse. Ich bückte mich, um ihn aufzuheben. Sein Gewicht, seine Solidität wirkten hier seltsam fehl am Platze, in dieser verblühten, verlassenen Landschaft. Nur noch Mauerreste, wie abgebrochene Zähne, erinnerten an das Blue Moon Café, dessen Veranda und geheimnisvoller innerer Bereich in meiner gesamten Kindheit von schwarzen Männern
bevölkert war, die Sandwiches mit roter Barbecuesoße aßen und aus gedrungenen Flaschen Erfrischungsgetränke schlürften. Außerhalb der Stadt war aus dem Laden, in dem meine Großeltern achtzehn Stunden täglich verbracht hatten, die Abyssinian Holy God Church geworden, an dessen Vorderseite ein grobes weißes Kreuz genagelt war.
    Ich ging den Deich entlang und dachte an all die vielen Male, die ich mit Al hier gesessen hatte, wir beide als Silhouette vor dem Himmel, während die Stadt hinter und unter uns weiter ihren Geschäften nachging. Die alten Leute redeten immer noch über die große Flut von 1908, doch der Fluss hatte schon begonnen auszutrocknen, lange bevor die Stadt es ihm gleich tat, und heute konnte ein Mann, wenn er darauf achtete, wohin er seinen Fuß setzte, mehr oder weniger trocken von einem Ufer zum anderen kommen.
    Wie ich selbst so gab auch die Stadt langsam aber sicher der Erdanziehung nach.
    Warum ist es so, dass wir oft gerade erst in dem Augenblick beginnen, etwas genau zu beschreiben - es zu begehren und seine Einzigartigkeit zu begreifen -, wenn es sich bereits unwiderruflich verändert hat und uns entgleitet?
    Zum Beispiel mein Leben in der Blockhütte und in der Stadt. Meine Familie.
    J.T.
    Val.
    Natürlich habe ich damals da unten am Fluss nicht
daran gedacht, weil noch nichts davon geschehen war, aber ich dachte definitiv an diesem Morgen daran, als ich auf einem Berg stand und zu Stillmans Camp hinunterblickte.
    Worüber ich damals wie heute nachdachte, war, dass ich mein ganzes Leben lang - einschließlich meiner Zeit im Dschungel, meiner Jahre auf der Straße als Cop, der Zeit im Gefängnis, der Arbeit als Psychiater, ja sogar an dem Ort, an dem ich aufwuchs -, dass ich mein ganzes Leben lang nicht im Takt und im Gleichklang mit dem Rest der Welt gelebt hatte, immer bin ich an Grenzen und Bruchlinien entlanggetorkelt. Es war durchaus nicht so, dass ich es mir ausgesucht hätte; es hatte mich einfach dorthin verschlagen.
    Als Berater und als Therapeut hatte ich mich natürlich stets beeilt, darauf hinzuweisen, dass wir selbst es sind, die die Entscheidungen treffen, und dass sich nicht zu entscheiden ebenfalls eine Entscheidung darstellt wie jede andere auch. Nicht zuletzt solche Predigten waren der Grund, warum ich aufgehört habe. Es ist zu einfach, wenn man erst einmal die Tricks kennt. Man fängt an zu glauben, dass man eine Möglichkeit entdeckt, die Welt mit klarem Blick zu sehen, während man in Wirklichkeit lediglich eine Sprache lernt - eine gefährliche Sprache, weil sie den Blick verengt und uns vorgaukelt, man verstehe, warum die Menschen tun, was sie tun.
    Aber wir verstehen es nicht. Wir verstehen so wenig von allem.
    Zum Beispiel, warum jemand eine derartige Verwüstung
anrichten sollte, wie ich sie jetzt im hellen Mondlicht unter mir sah.
    J.T. kam in großen Schritten den Hügel herauf, rutschte ein wenig auf dem feuchten Gras. Ich verkniff es mir, schlaue Bemerkungen über Stadtmenschen zu machen.
    »Was denkst du?«
    An diesem Punkt so ziemlich das gleiche wie

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