TURT/LE: Gefährlicher Einsatz (German Edition)
würde ihr einen Sack über den Kopf stülpen, dann erfühlten ihre Finger den Schleier ihrer Burka. Wie sie es hasste, dahinter eingesperrt zu sein!
»Komm.« Er umfasste ihr Handgelenk und zog sie zur Treppe.
Von der langen Burka behindert, stolperte Kyla hinter ihm her. Auf den Stufen blieb sie dicht hinter ihm und beobachtete angespannt, wie er die metallene Klappe langsam anhob und ihre Umgebung prüfte. Anscheinend sah er niemanden, denn er kletterte rasch hinauf und hielt ihr dann die Hand hin, um ihr beim Ausstieg zu helfen. Oder wohl eher, um sicherzustellen, dass sie keinen Fluchtversuch unternahm. Nach mehreren Tagen in der Dunkelheit hatte Kyla Mühe, ihre Augen an die relative Helligkeit draußen zu gewöhnen. Zwar war es bereits kurz vor Sonnenuntergang, doch immer noch hell genug, um ihre Umgebung zu erkennen. Seit sie zusammen mit Jade durch diese Straße geflohen war, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Tagsüber wirkte sie weit weniger bedrohlich, dafür aber umso verfallener. Nirgends war eine Menschenseele zu sehen, wahrscheinlich waren bereits alle wegen der Ausgangssperre in den Schutz ihrer Häuser zurückgekehrt.
Langsam wandte sie sich um und blickte ihren Begleiter an. Er war wesentlich größer als sie, lang und schlank, wie viele afghanische Männer. Sein Gesicht hatte er abgewandt, während er die Umgebung beobachtete. Wieder einmal verfluchte Kyla die Burka dafür, dass sie durch die kleine vergitterte Augenaussparung nur Umrisse und keine Details erkennen konnte. Als er sich zu ihr umwandte, sah sie dunkle Augen unter schwarzen Brauen und einen dichten Vollbart. Um seine dunklen Haare war in landestypischer Weise eine Kufiya geschlungen. Das Tuch verdeckte auch Hals und Mund.
Er betrachtete sie aufmerksam, zog ihre Burka zurecht, sodass sie von Kopf bis Fuß verhüllt war, und schob dann seine Hand unter ihren Schleier. Erschrocken zuckte Kyla zurück, doch er folgte ihr einfach. Seine Finger strichen über ihren Nacken, schlossen sich um ihre Haare und stopften sie unter die Burka. Erleichtert atmete Kyla auf. Ihr Bewacher hatte keinen Annäherungsversuch gestartet, sondern lediglich sichergestellt, dass niemand ihre langen blonden Haare bemerkte. Einen Augenblick lang trafen seine Augen ihre hinter dem Netzgitter, dann ließ er sie los und trat zurück.
»Sprich mit niemandem. Sollten wir jemandem begegnen, werde ich reden. Du bist meine Frau Shahla, also benimm dich so, wie es Ehefrauen hier üblicherweise tun.« Er senkte seine Stimme. »Versuch nicht zu fliehen, es wäre dein Tod.«
Kyla ignorierte die Drohung. Wenn sie bei ihm blieb, würde ihr höchstwahrscheinlich auch der Tod drohen, also würde sie trotzdem einen Fluchtversuch wagen, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot. Interessanter fand sie seine Namenswahl. Shahla bedeutete »schöne Augen«.
»Wie soll ich dich nennen?«
»Hamid.«
Ein typisch afghanischer Name, aber sicher nicht sein richtiger. Irgendetwas an ihrem Wächter stimmte nicht. Er sah aus wie ein Afghane, sprach wie einer, benahm sich wie einer, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass es nur eine Tarnung war. Aber wozu? Wer war er und wie hatte er sie überhaupt gefunden? Und vor allem: Was hatte er mit ihr vor? Es würde nichts bringen, ihn danach zu fragen, so viel stand fest.
Als Hamid sich in Bewegung setzte, folgte sie ihm mit zwei Schrittlängen Abstand, den Kopf gesenkt, Hände und Füße in den Falten der Burka verborgen. Sie hielten sich nah an den verfallenen Gebäuden, um bei Bedarf darin Schutz suchen zu können. Ihr Herzschlag dröhnte dumpf in Jades Ohren und verhinderte, dass sie irgendetwas anderes hörte. Sie kam sich hilfloser vor als nackt im Kellerversteck, was ihre Wut noch steigerte. Am liebsten hätte sie ihrem Mann etwas über den Schädel gezogen, in Ermangelung eines Gegners, an dem sie ihren Zorn hätte auslassen können. Andererseits war Hamid auch ein Feind. Durch das Netzgitter hielt sie Ausschau nach einem brauchbaren Schlagobjekt. So brauchte sie einen Augenblick, um zu reagieren, als sie Hamids leisen Fluch hörte. Jedenfalls nahm sie an, dass es einer war, denn auch dieses Wort hatte sie im Persisch-Intensivkurs nie gelernt.
Bevor sie erkennen konnte, worum es ging, hatte er sie in einen Hauseingang gezerrt und zwischen der Wand und seinem harten Körper eingezwängt. Sein Geruch nach Hitze und Schweiß mischte sich mit ihrem und nahm ihr die Luft. Ihre verletzte Schulter pochte dumpf nach der ruckartigen Bewegung und
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