TURT/LE: Riskantes Manöver (German Edition)
Wunderbar. Auf diese Art würde sie innerhalb von Sekunden völlig durchnässt sein. Aber der Hunger trieb sie vorwärts. Zitternd hastete sie los und bemühte sich, der Wegbeschreibung zu folgen. Vielleicht lag es an der Dunkelheit, aber deutsche Straßen kamen ihr furchtbar verwirrend vor. Sie waren nicht einfach wie ein Schachbrettmuster angeordnet, wie sie es aus den USA kannte, sondern kreuz und quer, führten um Kurven, waren mal breiter und mal schmaler, und es dauerte nicht lange, bis sie nicht mehr wusste, wo sie sich überhaupt befand. Zwar glaubte sie, dass sie noch auf dem richtigen Weg war, sie konnte sich aber auch irren.
Durch den großen Schirm und den starken Regen konnte sie kaum etwas erkennen und die Dunkelheit half auch nicht gerade dabei. Genervt blieb Kyla stehen und versuchte, sich zu orientieren. Eigentlich war die Wegbeschreibung nicht sonderlich schwer: zweimal rechts, einmal links, dann wieder rechts und nur noch geradeaus. Die Schwierigkeit war nur, die richtige Stelle zu finden, an der man abbiegen sollte. Irgendwo musste sie falsch abgebogen sein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich eine McDonald’s-Filiale in so einer düsteren Gegend ansiedeln würde. Sie sollte besser umkehren und zumindest zu der größeren, gut beleuchteten Straße zurückkehren. Vielleicht traf sie dort sogar jemanden, den sie nach dem Weg fragen konnte.
Gerade als sie sich umdrehen wollte, glaubte sie ein Geräusch hinter sich zu hören. Sie wirbelte herum, konnte jedoch nichts erkennen. Ihr Nacken prickelte, ein eindeutiges Warnzeichen, dass sie nicht mehr alleine war. Unauffällig blickte Kyla sich um. Die schmale Straße war verlassen, der Regen legte sich wie ein dichter Schleier über die Gebäude zu beiden Seiten und die Autos, die dicht an dicht am Straßenrand parkten. Es konnte durchaus sein, dass sie nur jemand aus einem der dunklen Fenster beobachtete und sich fragte, was für eine Verrückte mitten in der Nacht bei diesem Wetter durch die Stadt lief. Doch Kylas Instinkt sagte ihr etwas anderes.
Langsam ging sie die Straße zurück, während sie stetig jeden Zentimeter mit ihren Augen absuchte. Als sie beinahe wieder bei der größeren Straße angekommen war, begann sie sich zu fragen, ob ihr Gespür vielleicht durch die fremde Umgebung oder den langen Flug aus dem Lot geraten war. In diesem Fall würde sie das sogar begrüßen, denn sie war unbewaffnet und wollte ungern in einem fremden Land in eine potenziell gefährliche Situation geraten.
Kyla kam an einem etwa anderthalb Meter breiten Spalt zwischen zwei Häusern vorbei und versuchte, mit ihren Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Wenn sich darin jemand versteckte … Ihr Körper spannte sich an und sie erwartete, jemanden hervorspringen zu sehen. Doch das geschah nicht. Stattdessen kam der Angriff von der anderen Seite. Etwas Schweres kollidierte mit ihr und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Der Schirm segelte in einer Windböe davon, und sie stolperte seitwärts. Regentropfen stachen in ihre Augen, sie blinzelte heftig, um ihre Sicht zu klären. Ihr unbekannter Gegner musste sich hinter den Autos versteckt haben, damit sie ihn nicht entdeckte, bevor es zu spät war. Der Angreifer nutzte ihre wackelige Balance und stürzte sich auf sie.
Der Zusammenprall katapultierte sie in die enge Gasse hinein. Ihre Schulter schrappte über rauen Stein, aber sie schaffte es immerhin, auf den Füßen zu bleiben. Ihr antrainiertes Verhalten setzte ein, und sie nutzte den Schwung, um herumzuwirbeln und in Kampfpose zu gehen. Damit hatte ihr Angreifer wohl nicht gerechnet, denn er wich zurück. Leider hielt die Verunsicherung ihres Gegners nicht lange an. Sie konnte im Dunkeln sein Gesicht nicht sehen, aber war sich fast sicher, dass er sie angrinste.
Wut stieg in ihr auf, und sie machte einen Schritt nach vorn. »Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei.«
Der Mann antwortete nicht darauf. Entweder, weil er kein Englisch verstand oder weil es ihm völlig egal war, was sie sagte. Vielleicht ein Drogensüchtiger, der Geld für den nächsten Schuss brauchte? Allerdings konnte sie nichts von der Verzweiflung spüren, die sonst von solchen Leuten ausging. Ihr Angreifer schien sie gezielt ausgesucht und den Angriff gut geplant zu haben. Bevor sie etwas unternehmen konnte, bewegte er sich, und sie sah in einem verirrten Lichtstrahl eine Messerklinge aufblitzen. Im letzten Moment sprang sie rückwärts, und der Stoß ging ins Leere. Offensichtlich
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