Twig im Dunkelwald
überquellende Säcke mit Nüssen. Es gab Pinzetten und Skalpelle, Bergkristalle, eine Waage, Stapel von Papier und zusammengerollte Rindenstücke. An Haken hingen Büschel getrockneter Kräuter und Blumen, daneben Schnüre mit getrockneten Schnecken und eine Auswahl toter Tiere wie Waldratten, Eichenwühlmäuse und Schniesel. Sie alle schwankten sacht, während die Plapperdrude den Tee zubereitete.
Twig wartete geduldig. Der Mond ging auf und verschwand gleich wieder hinter einer schwarzen Wolkenbank. Die Lampe leuchtete heller als zuvor. Neben einem dicken Holzklotz bemerkte Twig ein in die Erde gekratztes Herz. Quer über ihm lag ein Stock.
»Und fertig ist der Tee, Jungchen«, rief die Plapperdrude und trat aus dem Wagen, in jeder Hand eine dampfende Tasse und unter dem Arm eine Blechbüchse. Sie stellte alles auf den Holzklotz. »Nimm schon mal ein Körnerkrüstchen«, sagte sie. »Ich hole uns noch etwas zum Sitzen.«
Unter dem Wagen hingen an Haken zwei weitere Holzklötze. Sie waren wie alles andere so gut getarnt, dass Twig sie nicht gesehen hatte. Die Drude ließ sich auf einen fallen. »Aber genug von mir geredet«, sagte sie. »Ich könnte endlos über mein Leben im Dunkelwald erzählen, wie ich hierhin und dorthin fahre, immer auf Achse bin und meine Tränke und Salben mische und helfe, wo ich kann … Wie schmeckt der Tee?«
Twig nahm einen Schluck, auf das Schlimmste gefasst. »Er schmeckt … köstlich«, sagte er überrascht.
»Gallapfelschale«, sagte die Plapperdrude. »Gut für Fingernägel und fürs Herz und ganz ausgezeichnet für …« Sie hustete und die Augen an den Tentakeln fuhren hin und her. »Für die Verdauung, wenn du verstehst, was ich meine. Und mit Honig ein unschlagbares Mittel gegen Schwindel.« Sie beugte sich zu Twig und senkte die Stimme. »Ich will ja nicht angeben«, sagte sie, »aber ich kenne die Pflanzen und Tiere des Waldes besser als die meisten hier.«
Twig schwieg. Er dachte an den Banderbären.
»Ich weiß, wofür sie gut sind, und kann sie zubereiten«, fügte sie hinzu. Sie seufzte. »Wenn ich Schmerzen habe.« Sie nippte an ihrem Tee. Ihre Tentakelaugen sahen sich um. Eins blieb an dem Stock über dem eingeritzten Herzen hängen. »Nimm zum Beispiel das. Für was hältst du das?«
»Einen Stock?«
»Es ist ein Herzzauber«, sagte sie. »Er zeigt mir den Weg, dem ich folgen muss.« Sie spähte in den Wald. »Wir haben noch Zeit … Ich zeige dir, wie das geht.«
Sie stellte den Stock in die Mitte des Herzens und hielt ihn mit einem Finger aufrecht. Dann schloss sie die Augen und flüsterte: »Herz, führe mich, wohin du willst.« Sie hob den Finger und der Stock fiel um.
»Aber jetzt liegt er genauso wie vorher«, rief Twig.
»Natürlich«, erwiderte die Plapperdrude. »In diese Richtung führt mich mein Schicksal.«
Twig sprang auf und nahm den Stock. »Darf ich auch mal?«, fragte er aufgeregt.
Die Plapperdrude schüttelte den Kopf und ihre Augen pendelten kummervoll hin und her. »Du musst dir selbst einen suchen.«
Twig lief zu den Bäumen am Rand der Lichtung. Der erste, an den er kam, war zu hoch, der zweite hatte zu hartes Holz. Der dritte war genau richtig. Er kletterte hinauf, brach einen kleinen Ast ab, entfernte die Blätter und schälte die Rinde, bis er genauso aussah wie der Stock der Plapperdrude, und sprang wieder hinunter.
»Hilfe!«, schrie er, denn etwas – eine wilde, sabbernde schwarze Bestie – packte ihn, warf ihn zu Boden und hielt ihn dort fest. Im Schein der Lampe sah er die Umrisse mächtiger Schultern. Gelbe Augen glitzerten, die Bestie riss ihr Maul auf und … heulte vor Schmerzen.
»Karg!«, schrie die Plapperdrude und schlug ihm noch einmal mit dem Stock auf die Nase. »Wie oft soll ich es dir noch sagen? Nur Aas! Jetzt hol dein Fressen und geh zum Wagen. Beeil dich. Du bist spät dran!«
Widerstrebend ließ das Tier Twigs Schultern los, drehte sich um, packte mit den Zähnen den toten Tilder, der neben dem Baum lag, und zog ihn auf die Lichtung.
Die Plapperdrude half Twig auf die Beine. »Nichts passiert«, sagte sie und musterte ihn. Sie wies mit einem Nicken auf das Tier, das ihn angefallen hatte. »Wird meist unterschätzt, der Hungerlunger. Dabei ist er im Allgemeinen treu und sehr intelligent. Und stärker als ein Ochse. Außerdem braucht man ihn nicht mit Fressen zu versorgen. Er kümmert sich selbst drum. Er muss allerdings noch lernen nur Tiere zu fressen, die schon tot sind.« Sie lachte und ihre Augen
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