Twig im Dunkelwald
Meute zwischen den Bäumen.
Twig sank auf die Knie. Er war wieder im Dunkelwald, aber diesmal hatte er keinen Banderbären, der ihn beschützte, keinen lieben, einsamen Banderbären, nur Wölfe und Jäger und Dickschädel und Holzköpfe und …
»Warum?«, schluchzte er auf. »Warum muss das bloß so sein? WARUM?«
»Weil es eben so ist«, ertönte eine Stimme, sie klang lieb und freundlich.
Twig sah auf und zuckte zusammen. Was da gesprochen hatte, sah weder lieb noch freundlich aus, sondern wie ein Monster.
»Was führt dich … SCHLÜRF … in diesen Teil … SCHLÜRF … des Dunkelwalds?«, fragte das Geschöpf.
Twig ließ den Kopf hängen. »Ich habe mich verirrt«, sagte er.
»Verirrt? Unsinn … SCHLÜRF … Du bist doch hier!« Das Geschöpf lachte.
Twig schluckte und hob den Kopf.
»So ist es besser … SCHLÜRF … Warum erzählst du mir nicht einfach alles, Kleiner? Plapperdruden sind ausgezeichnete … SCHLÜRF … Zuhörer.« Das Geschöpf wedelte mit seinen großen Fledermausohren.
Die gelbe Spätnachmittagssonne schien durch die rosa Haut der Ohren, die von einem Netz zarter Äderchen durchzogen war. Das Sonnenlicht glänzte auf dem fettigfeuchten Gesicht der Plapperdrude – es war eine Sie – und funkelte in den Tentakelaugen. Es waren diese langen, dicken, hin und her schwankenden und bald länger, bald kürzer werdenden Gummitentakel, an deren Enden zwei grüne Halbkugeln saßen, die Twig so erschreckt hatten. Ihm war noch immer ganz flau im Magen, trotzdem konnte er den Blick nicht abwenden.
»Also?«, sagte die Plapperdrude.
»Ich …«, begann Twig.
»SCHLÜRF!«
Twig erschauerte. Jedes Mal, wenn die lange, gelbe Zunge herausschoss und über das eine oder andere lidlose Auge fuhr und es befeuchtete, vergaß er, was er hatte sagen wollen. Die Augen auf den Tentakeln drehten sich in seine Richtung und betrachteten sein Gesicht von zwei Seiten gleichzeitig. »Was du brauchst, Jungchen«, sagte die Plapperdrude, »ist eine schöne Tasse … SCHLÜRF … Gallapfeltee. Komm mit.«
Nebeneinander gingen sie durch das schwächer werdende orangefarbene Abendlicht und die Plapperdrude redete. Redete und redete und redete. Und wie sie so mit ihrer melodischen Stimme plapperte, sah Twig nicht mehr ihre Ohren oder Augen und nicht einmal mehr die lange, schlürfende Zunge. »Ich habe nie dazugehört, verstehst du«, erklärte sie.
Twig verstand das nur zu gut.
»Plapperdruden bauen ja seit Generationen Obst und Gemüse an«, fuhr sie fort, »und verkaufen es auf den verschiedenen Wiesenmärkten. Aber ich wusste …« Sie verstummte. »Ich sagte zu mir: Drudchen, sagte ich, für ein Leben auf dem Feld und auf dem Markt bist du nun mal nicht geschaffen.«
Sie traten auf eine Lichtung, die in den tiefroten Schein der untergehenden Sonne getaucht war. Im Licht schimmerte etwas Rundes aus Metall. Twig kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Unter den herunterhängenden Wedeln einer Kummerweide stand ein kleiner Planwagen. Die Plapperdrude watschelte darauf zu. Twig sah, wie sie von einem Haken eine Laterne nahm und an einen Ast hängte.
»Damit Licht in die Sache kommt.« Sie kicherte und zog den Wagen aus seinem Versteck.
Twig betrachtete ihn, bis er auf einmal zu verschwinden schien. Twig schüttelte den Kopf und der Wagen war wieder da.
»Guter Trick, was?«, sagte die Plapperdrude. »Ich habe für die Farbmischung ewig gebraucht.«
Twig nickte. Der Wagen war von den Rädern an dem hölzernen Fahrgestell bis zu der über metallene Bügel gespannten wasserdichten Tierhaut über und über in den verschiedensten Grün- und Brauntönen bemalt. Im Wald war er so perfekt getarnt. An der Seite trug er eine Aufschrift. Die Buchstaben waren merkwürdig verschnörkelt und erinnerten an verschrumpelte Blätter.
»Ja, das bin ich«, sagte die Plapperdrude und fuhr sich mit der Zunge über die Augen. »›Plapperonia Plapperdrude, Apothekerin und Zauberin.‹ Aber jetzt wollen wir Tee trinken.«
Sie stieg die hölzerne Treppe hinauf und verschwand im Wagen. Twig sah von draußen zu, wie sie einen Kessel auf den Herd stellte und orangefarbene Flocken in eine Kanne löffelte.
»Ich würde dich ja hereinbitten …«, sagte sie und sah auf. »Aber, na ja …« Sie wies mit der Hand auf die Unordnung im Wagen.
Da standen zugestöpselte Krüge und Flaschen mit einer bernsteingelben Flüssigkeit und den Innereien kleiner Tiere herum, Kisten und Kästen voller Samen und Blätter und
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