Twig im Dunkelwald
und roch den faulen Gestank. Seitlich am Hals spürte er eine Reihe von Nadelstichen. Der Wolf hielt ihn in den Fängen. Eine Bewegung – entweder von Twig oder vom Wolf – und es war um ihn geschehen.
Plötzlich hörte Twig über dem ohrenbetäubenden Pochen seines Herzens eine Stimme. »Was ist denn hier los?«, fragte sie. »Was habt ihr denn da gefunden, Burschen? Etwas für den Kochtopf?«
Die Wölfe fletschten gierig die Zähne. Twig spürte, wie die scharfen Zähne an seinem Hals stärker in seine Haut drückten.
»Lass das los!«, befahl die Stimme. »Schlauzahn! Lass los, habe ich gesagt!«
Die Zähne ließen los, der Gestank wurde schwächer. Twig machte die Augen auf. Vor ihm stand eine Art Zwerg. Er hielt eine schwere Peitsche in den Händen und starrte ihn finster an. »Freund oder Fressen?«, fragte er.
»F … F … Freund«, stotterte Twig.
»Dann steh auf, Freund«, sagte der Zwerg. Twig gehorchte. Die Schwänze der Wölfe zuckten unruhig. Der Zwerg spürte Twigs Unbehagen. »Sie tun dir nichts«, sagte er. »Solange ich es ihnen nicht befehle.« Er grinste selbstgefällig.
»Und das tun Sie doch sicher nicht«, stotterte Twig. »O … oder?«
»Hängt ganz davon ab«, kam die Antwort. Die Wölfe begannen hechelnd und winselnd hin und her zu laufen. »Wir kleinen Leute müssen immer auf der Hut sein. ›Der kleine Mann sei immerdar auf der Hut vor fremder Gefahr‹ ist mein Motto. Im Dunkelwald kann man gar nicht vorsichtig genug sein.« Er musterte Twig. »Aber trotzdem«, sagte er, »du machst keinen besonders gefährlichen Eindruck.« Er wischte sich gründlich die Hand an der Hose ab und streckte sie aus. »Heiße Garble«, sagte er, »Garble der Jäger. Und das hier ist meine Meute.« Einer der Wölfe knurrte. Garble versetzte ihm einen heftigen Fußtritt.
Twig nahm die ausgestreckte Hand und schüttelte sie. Die Wölfe begannen fanatisch zu hecheln. Garble zog abrupt seine Hand zurück und betrachtete sie.
»Blut«, sagte er. »Kein Wunder, dass die Burschen dich entdeckt haben. Blutgeruch macht sie rasend.« Der Zwerg kniete hin und wischte seine Hand sorgfältig am Gras ab, bis kein Blut mehr zu sehen war. Dann sah er auf. »Wer bist du eigentlich?«, fragte er.
»Ich bin …«, setzte Twig an und verstummte. Er war kein Waldtroll, also was sollte er sagen? »Ich bin Twig«, sagte er schließlich.
»Ein Twig? Noch nie von denen gehört. Du siehst ein bisschen aus wie ein Schlappohr oder ein Holzkopf. Sogar ich kann die beiden kaum auseinander halten. Sie bringen allerdings gute Preise. Die Himmelspiraten sind immer auf der Suche nach Kobolden aus wilden Stämmen. Die sind zwar etwas schwer zu bändigen, aber sie kämpfen gut … Können die Twigs gut kämpfen?«
Twig trat beunruhigt von einem Bein auf das andere. »Nicht besonders«, sagte er.
Garble schnaubte. »Für ein so mageres Hemd wie dich würde ich sowieso nicht viel bekommen«, sagte er. »Aber vielleicht könntest du Schiffskoch werden. Kannst du kochen?«
»Nicht besonders«, sagte Twig wieder. Er betrachtete seine Hand. Am kleinen Finger war ein Schnitt, aber es sah nicht schlimm aus.
»Heute ist nicht mein Tag«, sagte Garble. »Ich war hinter einem fetten Höckerkopf her, an dem ich ein hübsches Sümmchen verdient hätte, kann ich dir sagen, und was passiert? Er rennt geradewegs ins Maul einer Bluteiche und das war natürlich sein Ende. Schreckliches Gemetzel. Und dann haben meine Jungs deine Fährte aufgenommen. Das hat sich ja wirklich nicht gelohnt.« Er spuckte aus.
Erst jetzt bemerkte Twig den Mantel, den Garble der Jäger anhatte. Das dunkle Fell war nicht zu verwechseln. Wie oft hatte er schon ein Fell gestreichelt, das genauso aussah wie dieses. Glatt, weich und mit einem grünlichen Schimmer.
»Banderbär«, flüsterte er und Wut stieg in ihm auf. Der abscheuliche Wicht trug das Fell eines Banderbären.
Garble war kleiner als Twig, deutlich kleiner. Twig war überzeugt, dass er ihn im Zweikampf mühelos überwältigen konnte. Doch starrten ihn aus allen Richtungen unverwandt gelbe Augen an und so musste er seine Empörung hinunterschlucken.
»Ich kann nicht den ganzen Tag verschwätzen«, sagte Garble. »Muss heute noch etwas Richtiges zur Strecke bringen. Für Wolfsköder wie dich habe ich keine Zeit. Die Hand würde ich an deiner Stelle behandeln lassen. Vielleicht hast du nächstes Mal weniger Glück. Auf geht’s, Jungs.«
Und damit drehte er sich um und verschwand mitsamt der winselnden
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