Twin Souls - Die Rebellin: Band 2 (German Edition)

ein Regierungsoffizieller, nur ein Mann auf einem Podium, der eine Rede hielt, die wahrscheinlich jemand anders für ihn geschrieben hatte.
    » Wir suchen « , sagte Jenson in das Mikrofon, » nach einem Kind. «
    Auf der Welt existierte nichts, gar nichts, bis auf seine Worte.
    » Ein dreizehn Jahre alter Junge namens Jaime Cortae wurde aus dem Krankenhaus entführt, nachdem er erfolgreich gegen Hybridität behandelt worden war. Ermittlungen wurden aufgenommen, und wir sind der Überzeugung, dass er von einer kleinen Gruppe hybrider Rebellen gekidnappt wurde. «
    Er sprach von unserem Jaime.
    » Eva? « , ertönte eine zarte Stimme hinter uns.
    Kitty stand im Flur, in einer Schlafanzughose und einem hellgrünen T-Shirt. Ihre langen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der ihr auf den Rücken fiel. Außerhalb von Nornand trugen Kitty und Nina niemals Röcke. Sie trugen so gut wie nie die Haare offen. Und sie trugen kein Blau. Ihre großen dunklen Augen waren dieselben, ihre beinah irisierende Haut, ihre Zahnstocherarme und -beine. Aber hier in Emalias Wohnung, mit geröteten Wangen, hatten sie ein wenig von ihrem feenhaften Aussehen verloren.
    Bis sie den Bildschirm sah, Jenson sah, und ihr Gesicht aschfahl wurde. » Was sagt er? «
    In dem Moment, als sie es sagte, wurde die Videobotschaft von Jenson ausgeblendet und durch die Aufnahme eines dunkelhaarigen Paares ersetzt.
    Mr und Mrs Cortae lautete die Bildunterschrift.
    Sie standen unter freiem Himmel, Hand in Hand, und sahen selbst wie verloren gegangene Kinder aus. Die Frau trug einen langen, schweren Rock, obwohl Sommer war. Der Blick ihres Ehemanns blieb auf den Boden geheftet, aber ihrer schoss pausenlos hin und her, in alle Richtungen, suchend. Wonach suchend? Nach Jaime? Nach Antworten? Nach Gerechtigkeit? Nach einem Ausweg? Einem Fluchtweg vor der Kamera, die in ihrem privaten Kummer herumstocherte?
    » Er war gesund « , sagte sie weinend. » Er war gesund und sie haben ihn mitgenommen. Sie … «
    Dann waren sie und ihr Mann verschwunden. Jenson füllte wieder den Bildschirm aus.
    Nein. Nein, geh weg. Lass sie reden. Lass uns hören. Ich musste wissen, was sie zu sagen hatte. Was wusste sie über Jaime und ihren anderen, für immer verlorenen Sohn? Kämpfte sie für ihn? Wollte sie ihn um jeden Preis wiederhaben? War sie genötigt worden, ihr Kind aufzugeben, so wie unsere Eltern? Bereute sie es jeden Tag?
    » Seine Familie ist natürlich am Boden zerstört, nachdem sie so dicht dran waren, ein gesundes Kind mit nach Hause nehmen zu dürfen « , fuhr Jenson fort. » Wir sind im gleichen hohen Maße um Jaimes Wohlergehen besorgt und arbeiten mit allen Kräften daran, seine sichere Heimkehr zu gewährleisten. «
    War das tatsächlich, was Jaimes Mutter mit gesund gemeint hatte? Oder hatte sie Jaime für gesund gehalten, bevor er in die Nornand-Klinik gebracht worden war?
    , erinnerte mich Addie sanft.
    Ich zwang mich dazu, mich wieder auf Kittys Gesicht zu konzentrieren. Ihre Hände hatten sich an ihren Seiten zu Fäusten geballt, deren Knöchel weiß hervortraten.
    Sabine machte einen Schritt nach vorn und schirmte sie von dem Fernsehbildschirm ab. » Hallo, ich bin Sabine. Tut mir leid, dass ich euch überfallen habe, während du noch geschlafen hast. «
    Ich schnappte mir die Fernbedienung und stellte den Ton leiser. Jensons Stimme wurde zu einem Murmeln. » Es ist nur eine Rede, Kitty. Mach dir keine Sorgen deswegen, okay? Wie wär’s, wenn du dich erst mal anziehen gehst? «
    Kitty sah uns prüfend an, dann nickte sie, ohne dass ihre Miene etwas preisgab. Ich wusste nie genau, wie sehr ich Kitty und Nina vor allem abschirmen sollte. Sie waren nur ein paar Monate älter als Lyle. Manchmal schienen sie jünger. Manchmal so viel älter.
    » Sie scheint eine ganz Liebe zu sein « , sagte Sabine, sobald wir hörten, wie Kitty unsere Zimmertür hinter sich schloss. » Ich bin froh, dass ihr … « Sie zögerte. » Ich meine, es ist immer schön, wenn es ihnen gelingt, sie so jung zu retten. « Sie sah wieder zum Fernseher hinüber, die Wangen hochrot, die Augen dagegen kalt.
    » Du kennst Jenson « , sagte Ryan zu ihr. » Persönlich, meine ich. «
    Jetzt, da Ryan es sagte, konnte ich es ebenfalls sehen. Sabine musterte Jenson nicht wie einen Fremden, eine gehasste Galionsfigur. Sie musterte ihn so, wie wir es taten. Wie jemand, der gespürt hatte, wie seine Finger unsere Haut gegen unsere Knochen drückten.
    » Persönlich? «