Kopf.
Niemand außer mir wusste davon.
Ich ballte unsere Finger zu einer Faust, fester und fester, bis unsere Nägel eine schmerzvolle Linie in die Mitte unserer Handfläche gruben. Dann studierte ich das Treppchenmuster aus roten Halbmonden, das in unsere Haut eingekerbt war.
Die Stille im Zimmer – in unserem Kopf – war massiv. Sie schien zugleich eine große, unfassbare Leere und etwas Erdrückendes, beinah Lebendiges zu sein, das jede Sekunde die Tür einreißen konnte, die mich vor dem Rest der Welt verbarg.
Ich stand auf. Unsere Beine trugen mich. Natürlich trugen sie mich. Ich war seit fünf Wochen wunderbar auf ihnen gelaufen. Aber die Schritte, die ich nun ging, kamen mir deshalb nicht weniger bedeutend vor.
Ich ging vierzehn Schritte, bewegte mich einfach kreuz und quer durch das Zimmer.
Emalias Gästezimmer war nicht groß und die Möbel nahmen den meisten freien Platz ein. Zu den zwei Betten kamen noch zwei passende Nachttischchen hinzu – mit zwei nicht dazu passenden Lampen – und eine Kommode mittlerer Größe, die wir uns mit Kitty teilten. Über der Kommode hing der schönste Gegenstand im Zimmer, ein großer, rechteckiger Spiegel in einem kunstvoll geschnitzten Holzrahmen.
Ich stellte mich davor. Das geheimnisvolle Mädchen im Spiegel erwiderte meinen Blick. Dasselbe Mädchen, das meinen Blick schon mein ganzes Leben lang erwidert hatte. Ich hob die Hand, berührte mein Gesicht.
War es jetzt mein Gesicht, da Addie nicht da war?
Das Mädchen im Spiegel runzelte die Stirn.
Ich kehrte zum Bett zurück, plötzlich fiel mir das Atmen schwer. Die Welt erschien mir zu gewaltig und gleichzeitig zu klein.
So fühlte es sich an, allein zu sein.
So verbrachten Mom, Dad, Lyle – all die anderen Mädchen in der Schule, unsere Lehrer, die Leute auf der Straße –, so verbrachten sie jeden Moment ihres Lebens. Das hier war die Stille und die Einsamkeit in ihren Köpfen, das Echo ihrer Gedanken.
Es hatte sich anders angefühlt, als ich mich nicht bewegen konnte. Damals war ich immer noch teilweise gefangen gewesen. Aber jetzt … Ich konnte alles machen. Ich konnte alles machen und niemand außer mir müsste je davon erfahren.
Ein bisschen mehr als fünf Minuten später war Addie wieder da.
Ich hielt sie, ganz fest, als sie in die wache Welt zurückkehrte.
, fragte ich.
Addie starrte blicklos auf den Fernsehbildschirm. Kitty hatte uns ins Wohnzimmer gerufen, um einen Film zu gucken, und wir hatten uns zu ihr gesetzt, aber weder Addie noch mir gelang es, sich darauf zu konzentrieren.
, sagte Addie. Es hatte immer ein paar Minuten gedauert, bis die Wirkung von Refcon nachließ, selbst nachdem Addie erwacht war, sodass sie benommen und unsicher auf den Beinen gewesen war.
Damals in Lupside hatte Addie Hally nach anderen möglichen Nebenwirkungen gefragt. Es hatte keine schwerwiegenden gegeben, was bedeutete, dass es die anderen Medikamente schlug, die Addie und ich als Kind geschluckt hatten. All die Versuche, uns dazu zu bringen, Frieden zu finden.
Dennoch hatte Hally uns eines Nachmittags eine Entschuldigung zugeflüstert. Weil ich es dir nicht verraten habe, hatte sie gesagt. Ich war einfach … ich war nicht sicher, ob du es tun würdest. Und ich dachte, wenn Eva auch nur die eine Chance bekäme, zu erfahren, wie es sein könnte, frei zu sein, würde sie …
Addie hatte den Blick abgewandt und genickt. Sie waren damals noch nicht befreundet gewesen. Hally hatte keinen Grund gehabt, Rücksicht auf Addie zu nehmen.
Lustig, wie die Dinge sich geändert hatten.
Addie strich abwesend über Kittys Haare. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und unsere Hand hielt in der Bewegung inne.
» Hallo! « , sagte Sophie fröhlich, als sie die Wohnungstür aufstieß. » Habt ihr Mädchen schon was gegessen? «
» Noch nicht. « Kitty lächelte und schien augenblicklich jedes Interesse an dem Film zu verlieren. » Kannst du uns etwas von dem Gleichen holen wie letztes Mal? «
» Was war das noch? « Sophie hängte ihre Handtasche auf und schlüpfte aus ihren hochhackigen Schuhen. Sie stellte sie ordentlich in das Schuhregal. » In ein paar Minuten haben wir eine Besprechung, daher kann ich nicht allzu weit gehen. «
» Es findet ein Treffen mit Peter statt? « Addie sprang auf und folgte Sophie in die Küche. Es war Samstag, also konnte es