der Flucht. Getrennt wahrscheinlich, dieses Mal.
Wir würden vielleicht geschnappt werden. Kitty und Hally würden vielleicht geschnappt werden.
Konnte ich dieses Risiko für die paar Leben auf mich nehmen, für die sowieso jede Hilfe zu spät käme?
Konnte ich nicht.
Konnte ich nicht.
Jacksons Gestalt verschwamm, aber wir konnten genug erkennen, um zu sehen, wie er sich abwandte. Wir blinzelten wütend, bis unsere Sicht wieder klar war.
» Ich werde Emalia und Henri anrufen « , sagte Josie. » Ich sage ihnen, ich wäre vorbeigekommen und hätte Eva und Ryan abgeholt, damit sie über Nacht bei Cordelia und mir bleiben können. Sabine und ich werden uns irgendetwas ausdenken. Sie werden keinen Verdacht schöpfen. «
Natürlich würden sie das nicht. Wer hätte sich auch nur im Traum eine Situation wie die hier auf dem Dachboden ausgemalt? Ryan und ich mit Isolierband gefesselt und geknebelt?
Ich schrie in unseren Knebel und zerrte an unseren Fesseln. Doch nicht sehr lange. Schon bald waren wir außer Atem und uns wurde schwindelig vom Sauerstoffmangel, vor schierer Panik.
In Josies Blick schlich sich ein Hauch Mitleid.
» Bitte mach das nicht « , sagte sie leise. » Du könntest dich verletzen. Du blutest ohnehin schon. Kopfwunden bluten immer stärker als andere. «
Das Rinnsal, das unseren Nacken hinunterlief. Ich hatte es für Schweiß gehalten. War es Blut?
» Es muss ständig jemand hier sein « , sagte Josie. » Wir wechseln uns ab. Ich übernehme die erste Schicht. «
Kapitel 35
Cordelia ging als Erste. Christoph schickte sich als Nächster an, den Dachboden zu verlassen, wenn auch zögerlicher. Seine Lippe blutete immer noch und er rieb dauernd daran und verschmierte das Blut über das Kinn.
» Geh dich im Bad säubern « , sagte Josie, als er sich zur Treppe wandte. » Und bring mir den Erste-Hilfe-Kasten hoch. «
Er gab keine Antwort, kehrte aber nach ein paar Minuten mit sauberem Gesicht und einem kleinen weißen Kästchen in den Händen zurück. Josie nickte zum Dank und er ging ohne ein Wort davon. Dieses Mal kam er nicht wieder.
Nun waren es nur noch Josie und Jackson, der immer noch auf der anderen Zimmerseite stand und aus dem Fenster starrte. Seine Arme waren verschränkt. Wir bemühten uns, nicht zu ihm hinzusehen. Es tat jedes Mal weh, wenn wir es taten.
, fragte ich vorsichtig, aber ich erhielt bloß eine wortlose Antwort, die sich wie ein unterdrückter Schrei anfühlte.
Josie ging mit dem Erste-Hilfe-Kasten auf Ryan zu. Er schien nicht mehr zu bluten – jedenfalls nicht stark. Er sah sie unverwandt an, zuckte aber nicht zurück, als sie sich anschickte, das Blut von seinem Gesicht abzuwischen.
» Jackson « , sagte sie, ohne ihn dabei anzusehen. Ihm fiel das nicht auf, weil er sie ebenfalls nicht ansah. » Du kannst gehen. Ich komm schon klar. «
Er drehte sich ein Stück zu uns. Einen Moment dachte ich, er würde vielleicht protestieren. Sein Blick schweifte über einen Punkt über unserem Kopf, seine Lippen öffneten sich. Aber dann nickte er nur.
Mehr noch als auf Christoph oder Cordelia oder sogar Sabine verspürte ich eine rasende Wut auf ihn. Weil Addie ihm vertraut hatte, weil sie glücklich mit ihm gewesen war. Und das war jetzt vorbei.
Er verschwand die Treppe hinunter.
Josie kauerte sich vor mich. » Wirst du stillhalten, während ich versuche, das Blut aus deinen Haaren zu bekommen? «
Der Knebel drückte gegen unsere Zunge, unsere Mundwinkel. Ich gab keine Antwort. Sie tupfte mit einem feuchten Tuch unseren Hinterkopf ab.
Sie machte keinerlei Anstalten, noch etwas anderes zu Ryan oder uns zu sagen, und während sie damit beschäftigt war, unseren Kopf zu versorgen, begegnete ich Ryans Blick. Er hielt unseren einen Moment lang fest, dann begann er, sich im Raum umzusehen. Zuerst dachte ich, sein Blick würde der Lichterkette folgen.
Dann erkannte ich, dass er die Nägel ansah.
Sie waren alt; lang, aber nicht besonders dick.
, flüsterte ich. Sie war immer noch zu einem Ball zusammengerollt, und ich wusste, wie schwer es war, damit aufzuhören, wenn man sich erst mal in diese Position geflüchtet hatte. Aber ich wusste auch, dass es manchmal besser war.
Addies Stimme war nicht mehr als ein gehauchtes Echo.
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