Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
sie sich erhofft hatten.
»Es sind diese dämlichen Rohre«, knurrte die Führerin vor sich hin, als sie an uns vorbeistakste. Ihre Wangen waren hochrot, ihre Augen strahlten so hell, dass ihr Blick etwas Wildes hatte. »Wie oft habe ich schon darauf hingewiesen, dass diese Rohre repariert werden müssen?« Sie klipste das Walkie-Talkie wieder an ihrem Rock fest, dann hob sie die Stimme und sagte: »Wenn mir jetzt bitte alle durch diesen Raum hier folgen würden …«
Die Lichter erloschen erneut und hüllten alles in Dunkelheit. Dieses Mal gingen sie nicht gleich wieder an. Aber dafür erwachte etwas anderes zum Leben: Die Sprinkleranlage. Und mit ihr ein ohrenbetäubender Alarm. Addie schlug die Hände über unsere Ohren, während Wasser auf unsere Haare spritzte und über unser Gesicht rann. Irgendwo im Museum hatte es zu brennen begonnen.
Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis endlich alle wieder im Bus saßen. An so einem schönen, warmen Freitagnachmittag waren außer uns nicht besonders viele Besucher im Museum gewesen, aber doch genug, um eine beachtliche Menschentraube zu bilden, als alle durch die Türen des Museums nach draußen strömten; verstört und abgerissene Eintrittskarten umklammernd. Mütter scheuchten kleine Kinder vor sich her, Männer hatten dort, wo ihre Hosenbeine mit dem Wasser in Berührung gekommen waren, dunkle Flecken. Manche Hosenbeine waren vollkommen durchnässt. Viele Besucher beschwerten sich und verlangten Antworten oder die Erstattung ihres Eintrittsgeldes. Manche starrten einfach nur stumm das Museumsgebäude an.
»Ein Kurzschluss«, hörte ich eine Frau sagen, während Addie uns einen Weg zurück zum Bus bahnte. »Wir hätten alle einen Schlag bekommen und sterben können!«
Als wir in der Schule eintrafen, war unsere Bluse immer noch feucht und nicht mehr richtig weiß, aber die Gespräche drehten sich nicht länger um die Museumsüberflutung, sondern um den Ball am Schuljahresende, zu dem es noch mehr als einen Monat hin war. Und als Ms Stimp, völlig erledigt und genervt wie sie war, das Licht im Klassenzimmer ausmachte und einen Film anstellte, gönnte sich ein Viertel der Klasse ein heimliches Nickerchen, obwohl wir uns eigentlich Notizen machen sollten.
‹Ich hoffe, der Schaden lässt sich nicht reparieren›, sagte ich, während Addie ausdruckslos auf den Bildschirm starrte. Bessimir war auf so viele Dinge stolz, die in diesem Museum aufbewahrt wurden: die Bilder, die aus der Revolutionszeit geretteten Säbel und Revolver, ein authentisches Kriegsposter vom Beginn der Großen Kriege, datiert auf das Jahr, in dem der erste Angriff auf americanischem Boden stattgefunden hatte. Es drängte die Bürger, jeden Verdacht von Hybridaktivität zu melden. Die Lehrer sprachen im Unterricht nicht darüber, aber ich konnte mir vorstellen, wie die Leute damals mit dem Finger aufeinander gezeigt hatten. Die Menschen jener Zeit konnten sich nicht allzu sehr von denen von heute unterschieden haben. ‹Ich hoffe, das Fundament gibt nach. Ich hoffe, das ganze Gebäude kracht ein.›
‹Sei nicht albern›, sagte Addie. ‹Das Wasser stand nicht höher als ein paar Zentimeter. Innerhalb einer Woche werden sie alles wieder in Ordnung gebracht haben.›
‹Es hat gebrannt. Und ich habe gesagt, ich hoffe. ›
Addie seufzte, stützte unser Kinn in die eine Hand und begann mit der anderen, das Mädchen vor uns zu skizzieren, das mit halb offenem Mund schlief. Es war nicht so, als hätten wir uns den Film angucken müssen, um ein oder zwei Seiten mit Notizen zu füllen. Wir hatten die Großen Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts so oft durchgenommen, dass wir die wichtigsten Schlachten auswendig aufsagen, die Zahl der Toten herunterrasseln und die Reden zitieren konnten, die unser Präsident gehalten hatte, während wir uns gegen die versuchte Invasion zur Wehr gesetzt hatten. Am Ende waren wir natürlich zu stark für sie gewesen, und sie hatten die Aufmerksamkeit wieder auf ihre eigenen Kontinente konzentriert, wo Chaos und Verwüstung herrschten. Es war das, was Kriege anrichteten. Was Hybride anrichteten. Was sie selbst in diesem Moment noch anrichteten.
‹Hm›, sagte Addie schließlich. ‹Ich hoffe es auch.›
Auf dem Fernsehbildschirm ließ ein Flugzeug Bomben auf eine nicht zu identifizierende Stadt fallen. Der Junge neben uns gähnte, ihm fielen die Augen zu. Es gab nicht viel Filmmaterial aus den letzten Tagen der Kriege, weil sich alles so weit entfernt abgespielt hatte,
Weitere Kostenlose Bücher