Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
»Ich muss Fenton anrufen und mit ihm sprechen.«
Dick ging in die Cafeteria, zog sein Handy aus der Tasche und lehnte sich gegen ein Fenster des gähnend leeren Raums, wo ihn in weniger als 24 Stunden die Angestellten als neuen Chef von Twitter begrüßen würden.
Nach ihm verließen Biz und Goldman ebenfalls den Raum und zogen sich in einen anderen Sitzungssaal zurück. Die Vorstandsassistenten in der Lobby verfolgten verwirrt, wie ihre Vorgesetzten kreuz und quer durch die Gegend liefen. Kris schickte eine Reihe von SMS an Evs Frau Sara, die mit dem Baby zu Hause war, um sie über den aktuellen Stand auf dem Laufenden zu halten.
Seine Hände bebten, als Biz mit selbstbewusster, kraftvoller Stimme auf Bijan einredete. »Hören Sie, wenn Ev am Montag nicht herkommt, komme ich auch nicht!«, sagte er mit Nachdruck. »Dann können Sie die Sache allein bekanntgeben, ohne mich, ohne Goldman und ohne Ev, und das wird ein Scheißdesaster.«
Goldman saß ruhig da, während er dem Gespräch von Biz und Bijan lauschte, als ob es ihm komplett an der Hutschnur vorbeiginge. Bijan musste nicht lange überzeugt werden. Er hatte ein schlechtes Gefühl, so wie die Dinge gelaufen waren, aber er wusste auch, dass die Investoren die Gewissheit brauchten, nicht Hunderte von Millionen Dollar zu verlieren, die auf dem Spiel standen, wenn Twitter scheiterte. Wie Dick steckte er in der Zwickmühle zwischen Moral und Geschäftssinteressen. Als Bijan schon antworten wollte, fiel ihm Biz ins Wort. »Und Sie müssen Dick zum vollgültigen Vorstandschef machen, statt uns mit diesem Interimsquatsch zu kommen.« Er erklärte, dass das Unternehmen und seine Beschäftigten bereits genug durchgemacht hätten und der aktuelle Plan, den Chef zu feuern, einen Interimschef zu holen und dann nach einem dritten Vorstandschef zu suchen, das Vertrauen der Angestellten in Twitter zerstören würde.
»Okay, ich hab’s verstanden, schon klar«, antwortete Bijan. »Lassen Sie mich Fred und Fenton anrufen und mit ihnen sprechen.«
*
Nach Beendigung der Telefonate trafen sich alle im Konferenzraum und arbeiteten einen letzten Plan aus – einen, über den Jack nicht glücklich sein würde, da er bedeutete, dass er bei der Bekanntgabe am Montag nicht dabei sein würde; ein Plan, der bedeutete, dass Ev im Unternehmen einen Job als Leiter der Produktentwicklung behalten würde.
Nur wusste Jack, dass es ein Plan war, der nur eine kleine Weile Bestand haben würde. Ev nicht.
*
4. Oktober 2010, 10:43 Uhr, Twitter-Zentrale
»Raus«, sagte Ev zu der Frau, die gerade in seiner Bürotür aufgetaucht war. »Ich muss mich übergeben.«
Sie trat einen Schritt zurück und schloss die Tür mit einem metallischen Klicken, das durch den Raum hallte, während er mit feuchten, zittrigen Händen nach dem schwarzen Papierkorb in der Ecke seines Büros griff.
Es war Montagmorgen, eine Stunde, bevor Ev vor die Beschäftigten treten würde, von denen niemand im Mindesten ahnte, was sie oder ihn erwartete.
Die Zentrale öffnete wie üblich ihre Pforten. Die Kaffeebecher füllten sich, immer mehr Angestellte trudelten wie an jedem Montagmorgen in ihren Büros ein. Vielleicht würde heute wieder ein Star oder Politiker unangemeldet hereinschauen. Vielleicht würde ein Lieferant eine Leckerei oder eine andere Aufmerksamkeit für die Mitarbeiter vorbeibringen, das Dankeschön einer anderen Firma für das kräftige Wachstum, das Twitter ihr beschwert hatte.
Goldman war an jenem Montagmorgen schon früh ins Büro gekommen. Einigen Vertrauten schenkte er reinen Wein ein und erzählte ihnen, was sich wirklich hinter den Kulissen abgespielt hatte – eine andere Version als die geschönte Pressemitteilung, die später an die Medien herausgehen würde. Dann war Ev mit Sara eingetroffen und in sein Büro gegangen, wo er sich auf die Bekanntmachung vorbereitete. Ihm war nicht wohl.
»Geht’s dir gut?«, fragte Sara, als sie seinen Zustand bemerkte.
Er wusste nicht, ob es die Nerven waren oder ob er sich etwas eingefangen hatte, jedenfalls grummelte sein Magen. Als eine Mitarbeiterin der Public-Relations-Abteilung anklopfte, um mit ihm die Rede durchzugehen, die er in Kürze halten würde, verließ Sara den Raum. Noch bevor die Mitarbeiterin eintreten konnte, schickte Ev sie wieder fort. Ihm war plötzlich speiübel.
Als sich die Tür schloss, sank er auf die Knie.
Das war’s, seine letzte Handlung als Vorstandschef von Twitter.Er starrte auf den Boden eines schwarzen
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