Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Twitter-Mitarbeiter schauten sich ratlos an.
Was sie nicht wussten, war, dass kurz zuvor ein Tross von überwiegend farbigen Leuten in ausgefallenen Outfits durch die Metalltüren des Fahrstuhls im sechsten Stock in die Lobby der Twitter-Zentrale geströmt war, als würde dort die Eröffnungsszene eines Rapvideos geprobt.
»Hi, ich bin Nick Adler«, stellte sich selbstbewusst ein Mann mit kahlrasiertem Schädel bei der taubenäugigen Empfangsdame vor, die hinter ihrer niedrigen Theke verblüfft auf den Menschenpulk starrte. »Wir sind mit Biz Stone verabredet. Wir kommen von Omid.«
In der Mitte der Gruppe entdeckte die zierliche Rezeptionistin eine alle anderen überragende, wie eine Bienenkönigin umschwärmte Gestalt. Der Rapper Snoop Dogg war mit seiner Entourage bei Twitter eingefallen. Dogg wiegte den Kopf leicht von einer zur anderen Seite, während er den Blick im Foyer umherwandern ließ. Ein großer Schlapphut bedeckte seine Zopffrisur, eine Sonnenbrille verbarg die blutunterlaufenen Augen.
»Ja, äh, ich rufe ihn«, sagte die Empfangsdame mit einem eingeschüchterten Lächeln und versuchte, Biz zu erreichen. Doch es gab niemand, den sie anrufen konnte. Sämtliche Manager und leitenden Angestellten, die den Star hätten empfangen und herumführen können, waren außer Haus.
Eine von Dicks ersten Amtshandlungen nach seinem Dienstantritt als Vorstandschef war die Ablösung von Goldman als Chef der Produktentwicklung gewesen. Dick wollte den Vorstand säubern, alte Leute entfernen und neue hinzugewinnen, um Twitter seinen Stempel aufzudrücken. Die Ablösung von Goldman war der erste Schritt. Immerhin hatte im letzten Augenblick ein Kompromiss dafür gesorgt, dass Goldman, statt gefeuert zu werden, selbst kündigen durfte.
Anfang Dezember, auf der Pariser IT-Konferenz LeWeb, hatte Goldman in einem Podiumsgespräch mit dem Blogger M.G. Siegler von TechCrunch die Neuigkeit öffentlich gemacht.
»Sie sind schon seit einiger Zeit bei Twitter. Wie geht es bei Ihnen persönlich weiter?«, hatte Siegler gefragt.
»Ich habe letzten Freitag gerade der ganzen Firma mitgeteilt, dass ich Twitter Ende des Monats verlasse«, antwortete Goldman. »Ich werde jetzt nicht sagen, dass ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen möchte – sie besteht ja nur aus meiner Freundin und zwei Katzen –, aber ich brauche einfach mal eine kleine Pause.« (Er war immer noch mit Crystal zusammen.)
Auch von Ev war in der Twitter-Zentrale nirgends eine Spur, als Snoop Dogg ihr seine Aufwartung machte. Nachdem Ev den Chefsessel zugunsten von Dick geräumt hatte, saß anfänglich der Schock darüber, dass man ihn abgeschoben hatte, tief. Sobald ihm aber klar geworden war, dass er sich nun nicht mehr die Haareraufen musste, um den Ertrag zu steigern, sondern sich ganz der Weiterentwicklung von Twitter widmen konnte, hatte er sich mit Begeisterung in die neue Arbeit gestürzt. Im November machte er sich an den Entwurf neuer Funktionen. Doch schon bald trübte sich das Bild.
Als er Dick seine neuen Ideen präsentierte, schenkte der ihnen kaum Beachtung und wischte sie überwiegend vom Tisch. Es dauerte nicht lange, da wurde auch Ev selbst links liegengelassen. Es gab Besprechungen im Management, zu denen er nicht eingeladen wurde, Vorstandsmeetings außer Haus, in die er nicht eingeweiht war. Wie Jack in seiner Rolle als »stiller« Verwaltungsratsvorsitzender war Ev nun ein »stiller« Produktleiter.
In den Weihnachtsferien flog Ev mit seiner Familie in den Urlaub nach Hawaii, wo er oft mit Dick Ferien gemacht hatte, doch das gehörte der Vergangenheit an. Als er fern der Firma am Pool saß und über die psychische Belastung der vergangenen Monate nachdachte, wurde ihm klar, dass er bei Twitter keine wirkliche Rolle mehr spielte. Er war gefeuert, aber nicht vor die Tür gesetzt worden.
Am 2. Januar 2011 schrieb er allen in der Firma in einer E-Mail, dass es für ihn Zeit für eine Pause sei. »Ich habe beschlossen, meinen Urlaub noch weiter zu verlängern – bis März. Warum? Ich brauche schon lange Urlaub und der Zeitpunkt erscheint ideal. Ich werde weiterhin verfügbar sein und die E-Mails checken, an Verwaltungsratssitzungen teilnehmen, regelmäßig mit Dick und anderen Leuten sprechen, falls nötig Presseinterviews geben und alles genau im Auge behalten. Aber ich werde auch viel mehr Zeit mit Miles und Sara verbringen.« Er unterzeichnete die E-Mail mit »Mahalo, Ev«.
Da Goldman aus der Firma ausgeschieden und Ev im Urlaub
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