Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Papierkorbs und fragte sich, wie es so weit hatte kommen können. Wirre Erinnerungen, Blogposts, Fotos und Tweets schossen ihm durch den Kopf, ein chaotisches Rauschen, das alles Fassliche übertönte.
Er suchte hilflos nach Antworten. Was hatte dazu geführt, dass er in weniger als einer Stunde öffentlich zurücktreten musste, als Chef jener Firma, die er gegründet und mit seinem Geld finanziert hatte, die er liebte und in deren Management auch Freunde von ihm saßen, die er selbst ins Unternehmen geholt hatte?
Einige dieser Freunde hatten ihn hintergangen.
So sehr er auch in seiner Erinnerung wühlte, er konnte keine Vorzeichen des Verrats entdecken. Alle Anhaltspunkte waren wie unscheinbare Tweets, die unter Milliarden anderer verloren gegangen waren, ein elektronisches Elefantengedächtnis, das ohne Index wertlos war.
Das wirklich Wichtige war nie das Geld, das hatte Ev immer gewusst. Auch Milliardäre kotzen in Papierkörbe, wenn ihnen übel ist. Es ging darum, einen Unterschied zu machen, eine Bewegung anzustoßen. Es ging darum, die Macht zurückzuholen von denen, die sie okkupiert hatten, von den Politikern, von Hollywood, von den Berühmtheiten, Revolutionären, Konzernen und Medien, und sie durch dieses bizarre, irre Wunderding namens Twitter wieder ein bisschen mehr in die Hand aller Menschen zu legen. Eine zufällige Erfindung, die die Welt auf den Kopf stellte.
Nun war es Evs eigene Welt, die Kopf stand. In diesem Augenblick empfand er ein tiefes Gefühl des Bedauerns.
Die Bürotür ging auf. Sara war zurück. »Hey, was hast du denn? Wie fühlst du dich?«
»Beschissen.«
Nebenan marschierte Dick in seinem Büro auf und ab und verhandelte am Telefon über Jacks Rückkehr in die Firma. Es wurde bereits ein neuer Plan ausgebrütet.
Biz setzte sich an den Computer und tippte eine E-Mail, in der er die gesamte Belegschaft zu einer Versammlung um 11:30 Uhr indie Cafeteria bat. Außenstehende waren nicht erwünscht und sollten für die Dauer der Versammlung im Foyer warten. Kein großes Palaver, nur die Bekanntgabe einer wichtigen Neuigkeit.
Und dann war es so weit.
Die Mitarbeiter erhoben sich von ihren Schreibtischen, liefen durch die labyrinthischen Korridore und strömten in der Cafeteria zusammen. Gedämpftes Gemurmel erfüllte den Raum, während sich die Leute einen Sitzplatz suchten.
Dann erschien Ev mit Biz und Goldman im Schlepptau, und schließlich ließ sich auch Dick blicken.
Mit einem Mikro in der Hand trat Ev vor die Versammelten und hielt seine eigene Grabrede. Er habe sich entschlossen, sich um die Produktentwicklung zu kümmern und Dick gefragt, ob er den Posten des Vorstandschefs übernehmen wolle. Es waren wenige, feierliche Worte, getragen von einem optimistischen Grundton. Dann trat er beiseite und übergab das Mikrofon dem neuen Vorstandschef von Twitter – in zwei Jahren nun schon der dritte.
Um 11:40 Uhr übernahm Dick das Ruder. Eine Mitarbeiterin der Public-Relations-Abteilung, die mit geöffnetem Laptop im Publikum saß, drückte »senden« und veröffentlichte die Firmenmitteilung als Blogpost: Dick Costolo war der neue Vorstandschef von Twitter, Evan Williams trat auf eigenen Wunsch von diesem Amt zurück, um sich auf die Produktentwicklung zu fokussieren.
»Um aus Twitter ein 100-Milliarden-Unternehmen zu machen«, sagte Dick dem Publikum, »ist dies, darüber sind Ev und ich uns einig, der beste Schritt für die Firma.«
Die Presse überschlug sich, um die Nachricht schnellstmöglich zu veröffentlichen. Nichts in der Bekanntmachung deutete auf die hinterhältigen Intrigen, die in den letzten Monaten im Verwaltungsrat von Twitter gesponnen worden waren und Ev beinahe gänzlich aus der Firma getrieben hatten. Unerwähnt blieb auch, dass Jack Dorsey in die Firma zurückkehren würde. Das sollte erst noch folgen.
Kapitel V
#Dick
Sturmfreie Bude
»Riechst du das?«, fragte ein mondgesichtiger Programmierer und lugte über den Rand seiner Arbeitsnische. Es war ein später Donnerstagnachmittag. Bis zu diesem Augenblick war das Büro nur von den üblichen Gerüchen und gedämpften Geräuschen eines normalen Arbeitstags erfüllt gewesen.
»Riecht wie Gras«, meinte der Programmierer zu den Kollegen auf den Nachbarplätzen und sog die Duftfahne noch einmal tief ein, um sich zu überzeugen, dass sein Eindruck ihn nicht trog. »Stimmt’s? Das ist doch Gras?!«
Schnüffelnd reckte ein weiterer Programmierer seinen Kopf in die Höhe. »Hey, höre ich da Rap?«
Die
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