Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
von Fred aus New York in das Haus, an Ev adressiert und in Kopie an den gesamten Verwaltungsrat und Biz gesendet.
»Ev«, begann die Mail, »Peter, Bijan und ich werden am Montag nicht im Unternehmen sein, wie wir es besprochen hatten.« Dann listete er sechs Punkte auf, die den Twitter-Beschäftigten und den Medien mitgeteilt werden sollten und Ev in der Mehrzahl schon bekannt waren: Dick würde Interimsvorstandschef werden; der Verwaltungsrat würde sich unterdessen auf die Suche nach einem neuen Vorstandschef begeben, der schließlich an seine Stelle treten würde; Ev würde weiterhin im Verwaltungsrat sitzen, ein Büro bei Twitter haben, die Firma nach außen vertreten und einen Beitrag zur Produktstrategie leisten. Doch die Mitteilung enthielt auch noch einen neuen Punkt. »Sie werden im Unternehmen keine operative Aufgabe mehr ausüben.«
Verwirrt las Ev die Zeile zum wiederholten Mal. Fenton hatte ihm doch, als er sich am Freitag zum Rücktritt bereiterklärt hatte, versichert, dass er Produktvorstand bei Twitter werden würde, um dafür zu sorgen, dass die Webseite auch gestalterisch weiterentwickelt und nicht einseitig monetarisiert würde. Und nun, wo er kurz davor stand, im Büro die Bekanntmachung vorzubereiten, die doch nur eine Rochade in den Vorstandspositionen verkünden sollte, fiel man ihm in den Rücken und gab ihm zu verstehen, dass man ihn mit falschen Versprechungen geködert hatte.
Wie Jack zwei Jahre zuvor und Noah weitere zwei Jahre früher stand Ev bei Twitter nun offiziell ohne Job da. Und wie damals seinen beiden Mitgründern fehlte ihm jegliche Macht, daran etwas zu ändern. Was der Verwaltungsrat sehr wohl wusste. Er war offiziell als Vorstandschef zurückgetreten, alle weiteren nicht auf Papier oder per E-Mail schriftlich fixierten Abmachungen waren null und nichtig. Die Entscheidungsgewalt lag nun bei Jack, dem exekutivenVerwaltungsratsvorsitzenden, und bei Dick, der offiziell und rechtmäßig bei Twitter zu Evs Boss geworden war.
Nach und nach trudelten alle im Büro ein, Ev, Dick, Biz, Goldman, Amac und Sean Garrett, der Leiter der Public-Relations-Abteilung. Die Lichter wurden eingeschaltet, die Lüfter der Computer sprangen an. Die Vorstandsassistenten trafen ihre Vorbereitungen für den Tag.
Nun begann eine Kette von Besprechungen des Managements, abwechselnd in gleich drei verschiedenen Konferenzräumen. Die Stimmung war nicht locker, es wurde nicht gelacht, denn in den Sitzungen ging es um das Schicksal von Ev. Die Atmosphäre war zum Bersten gespannt, und gleichzeitig lag eine Wehmut in der Luft, von der auch die Sieger nicht verschont blieben.
Goldman war nach der Lektüre von Freds E-Mail niedergeschlagen und schmollte in seinem Büro. Sie hatten verloren, Ev war draußen. Es war vorbei. Blieb nur noch die Abfassung der Pressemitteilung, die in die Geschichtsbücher eingehen und den bitteren Ausgang der Schlacht schönfärben würde.
Allein Biz konnte es noch immer nicht fassen. »Ich verstehe nicht, wie sie Evs gesamte Karriere einfach wegwerfen können«, sagte er Goldman, als sie über Freds E-Mail sprachen. »Haben diese Leute denn gar keine Gefühle?« Obwohl einer der Mitgründer von Twitter, hatte Biz nie viel Macht in der Firma gehabt. Er hatte nie verstanden, was die »Geldleute« bewegte. Die E-Mail vom Verwaltungsrat erschien ihm durch und durch unfair.
Während sie von einem Konferenzraum zum nächsten zogen, setzte sich eine Angestellte der Public-Relations-Abteilung auf die Couch im Foyer, klappte ihren Laptop auf und schrieb verschiedene Fassungen des Blogposts, der am Montagmorgen auf der Seite erscheinen sollte. Die erste Version gab bekannt, dass Ev das Unternehmen für immer verließ und Jack, der exilierte Gründer, zurückkehrte. Aber im Lauf des Tages veränderten sich der Plan und der Blogpost noch mehrere Male.
Kris, Evs Assistentin, war gebeten worden, Dicks Tweets durchzugehen und alles hervorzukramen, was als kontrovers wahrgenommen werden könnte. Beim Scrollen durch die Tausenden von Botschaften aus höchstens 140 Zeichen hielt sie mitten auf einer Seite inne, rollte die Augen und rief ein paar Leute heran, um sich die Mitteilung anzuschauen, die er zum Spaß ein Jahr zuvor geschrieben hatte: »Morgen erster voller Arbeitstag als Geschäftsführer von Twitter. Aufgabe Nr. 1: Vorstandschef unterminieren, Macht festigen.«
*
Zuerst hockte sich Ev mit Dick in einen Konferenzraum zusammen und versuchte ihn davon zu überzeugen, ihn im
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