Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
PC World und VideoEgg Büroflächen, an der Südseite zog die Zeitschrift Wired, der Gebieter über das, was im IT-Bereich als cool galt, in ein großes Loft. Und ganz in der Nähe, eingekeilt in der durchwachsenen Kulisse aus Sportbars und Obdachlosen, saß eine kleine Podcasting-Firma namens Odeo.
Jack, der immer schon eine Vorliebe für feste Routinen hatte, setzte sich jeden Tag, wenn er ins Caffe Centro kam, an denselben Fensterplatz auf einen wackeligen Holzstuhl, wo er die Welt wie einen Stummfilm vorbeiziehen sehen konnte.
An sonnigen Tagen ging er in den Park und versenkte seinen Computer halb im Gras wie ein Raubtier, während er einen kostenlosen Internetzugang bei einer Firma zu schnorren versuchte, dieihr kabelloses Netzwerk offen ließ. Aber der kälteste Winter, den man erleben kann, ist ein Sommer in San Francisco, wie es heißt, und das bewahrheitete sich an einem tristen Junitag 2005, an dem Jack sich damit begnügen musste, drinnen zu sitzen.
An diesem Nachmittag, an dem er in den kärglichen Park schaute, war er besonders melancholisch. Das Leben, das er in San Francisco führte, gestaltete sich nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Als er St. Louis vor einigen Jahren verlassen hatte und nach einem kurzen Abstecher nach New York City, wo er als Fahrradkurier gearbeitet hatte, schließlich in San Francisco gelandet war, hatte er inständig gehofft, für ein richtiges Start-up zu arbeiten. Aber er hatte nicht sonderlich viel Glück gehabt.
Als er so dasaß und überlegte, wie er aus seiner beruflichen Sackgasse kommen könnte, sah er einen Bekannten am Fenster vorübergehen. Eigentlich kannte Jack den Mann nicht persönlich, aber er erkannte das kurze schwarze Haar, die spitze Nase, das leicht kantige Kinn mit den Bartstoppeln und die knallbunten Markenturnschuhe. Im Internet kursierten zahlreiche Geschichten über ihn und die Firma, die er für Millionen Dollar verkauft hatte. Der Mann kam an Jacks Fenster vorbei, schlenderte zu Jacks Überraschung ins Café hinein und stellte sich in die Schlange an der Theke, um etwas zu bestellen.
Er merkte nicht, dass Jack ihn anstarrte und jede seiner Bewegungen beobachtete. Hätte er es bemerkt, hätte er seine Blicke vielleicht als aufdringlich empfunden. Jack fasste es als Zeichen auf, öffnete schnell seinen Laptop, und suchte im Internet nach »Evan Williams E-Mail-Adresse«.
Bewerbungsunterlagen im herkömmlichen Sinne besaß Jack nicht. Seinen letzten Lebenslauf hatte er erstellt, als er sich für einen Job bei dem Schuhgeschäft Camper beworben hatte. Stundenlang hatte er an der Textgestaltung in Rot und Schwarz herumgefeilt und sich für den eleganten Schrifttyp Futura entschieden, um sich vorzustellen. Seine Bewerbung gliederte er in drei Teile: Jack. Leben. Liebe. Einen Nachnamen gab er nicht an. Nur Jack. Campergab ihm die Stelle nicht. Dennoch öffnete er nun diese Bewerbung auf seinem Computer, löschte sämtliche Hinweise auf Schuhe und schickte sie überarbeitet an Ev mit der Erklärung, er habe ihn gerade im Café gesehen und wolle sich erkundigen, ob er Leute einstelle. Nachdem sie einige E-Mails ausgetauscht hatten, bekam Jack eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.
Mittlerweile nutzte Odeo nicht mehr Evs frühere Wohnung in Mission, sondern ein größeres Büro einige Häuserblocks vom Park entfernt in der Third Street. Der große, offene Raum trug allerdings nach wie vor die verräterische Handschrift einer zusammengestückelten Ev-und-Noah-Produktion.
Die billigen, wackeligen Schreibtische in dem neuen Büro hatten kunststoffbeschichtete Arbeitsplatten und Metallbeine. (Einen Teil des Mobiliars hatte Ev von einer alten Kirche erstanden, die geschlossen wurde und ihr Inventar am Straßenrand verkauft hatte.) An einem Ende des Raums befand sich zwar ein großes Bogenfenster, das aber nur einen kleinen Teil des Lofts erhellte. Es war, als hätte das Licht Angst, den schmuddeligen Hackern zu nahe zu kommen. Ein kleiner, ausgefranster Orientteppich auf dem Boden sollte das Büro offenbar freundlicher wirken lassen. Das Schlimmste war jedoch die Gemeinschaftstoilette am Gang. Sie stank so grauenhaft, dass die meisten sich schützend ihr T-Shirt vors Gesicht hielten, wenn sie sie benutzen mussten. Auch im Treppenhaus stank es, da einige Obdachlose des Viertels es als provisorische Unterkunft nutzten.
Als Jack aus dem quietschenden alten Aufzug in das Odeo-Büro trat, war es dort gespenstisch still. Einige ungepflegte
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