Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
glaubten, er habe Pilze oder Methamphetamine genommen. Sie legten ihm Handschellen an und verfrachteten ihn in den Streifenwagen. Obwohl er bestritt, mehr als ein paar Tassen Kaffee getrunken zu haben, sperrten sie ihn ein und testeten ihn auf alle erdenklichen Drogen. Die Nacht musste er in einer Gefängniszelle verbringen. Am nächsten Morgen stellte die Polizei fest, dass Noah sich immer noch genauso benahm wie am Vortag. Er hatte keine Drogen genommen, man hatte ihn festgenommen, weil er nun einmal war, wie er war.
Gelegentlich tauchte Ev im Café des Tages auf und stellte Fragen. Noah, der Ev das Geld für die bisherige Finanzierung von Odeo verdankte, blieb nichts anderes übrig, als ihm zu antworten. Es dauerte nicht lange, bis die Befürchtung sich bewahrheitete, dass die Freundschaft durch die geschäftliche Verquickung auf der Strecke bleiben könnte.
Schließlich verlegte das Odeo-Team seinen Arbeitsplatz in Noahs kleine Wohnung. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, Noahs Frau Erin zur Zustimmung zu bewegen, aber er versicherte ihr, es sei ja nur vorübergehend. Sie hielt nicht mit ihrem Unmut hintermBerg, dass nun eine Ansammlung ungepflegter Programmierer ihr Wohnzimmer belagerte (Rabble programmierte oft mit einer Hand auf der Tastatur und kratzte sich mit der anderen die Hoden).
An manch einem Morgen kochte Erins Ärger über den Geruch, die Hand an den Eiern und den Lärm in brodelnder Wut hoch. »Noah, ins Schlafzimmer«, blaffte sie dann. »Sofort!«
Mit gesenktem Kopf und beklommenem Herzen folgte er ihr wie ein Kind, das Ärger bekam, weil es den Abfall nicht hinausgebracht hatte. Es gab Geschrei von ihr, Entschuldigungen von ihm, bis sie mit hämmernden Absätzen durch den Flur stapfte, aus der Wohnung rauschte und die Tür hinter sich zuschlug. Noah tauchte danach immer im Wohnzimmer auf, als sei nichts passiert, grinste, machte Witze und ermunterte alle, »sich weiter den Arsch aufzureißen«.
Im Laufe des Jahres nahm die Podcasting-Webseite allmählich Gestalt an, aber der Rest des Unternehmens brach rapide weg. Das Geld löste sich in nichts auf. Die Wohnungssituation verschlechterte sich und gefährdete Noahs Ehe, und ehe er es sich versah, stand er vor der Wahl: entweder die Entwicklung von Odeo aufzugeben oder Ev um weiteres Geld zu bitten.
Noah wandte sich erneut an Ev und bat ihn um 200
000 Dollar, um aus der Odeo-Idee ein richtiges Unternehmen zu machen. Ev erklärte sich bereit, das Projekt weiter zu finanzieren und letztlich bei der Beschaffung von Geldern anderer Risikokapitalanleger zu helfen, stellte aber eine Bedingung: Er selbst müsse Firmenchef werden. Es war weniger ein Coup als ein Kompromiss. Für Noah, der in der IT-Branche nach wie vor weitgehend unbekannt war, bedeutete es, dass Ev, der einschlägig bekannt war und in der Fachwelt ein gewisses Vertrauen genoss, nun dauerhaft mit Odeo verbunden wäre. Um Noah das Geschäft zu versüßen, bot Ev an, weiter die Miete für seine frühere Wohnung zu bezahlen und sie Odeo als erstes eigenes Büro zur Verfügung zu stellen.
Ev befand sich in einer paradoxen Situation. Podcasts interessierten ihn nicht sonderlich, aber er hatte mittlerweile Gefallen an demEtikett gefunden, das Blogger und Medien ihm angeheftet hatten: Er war einer der neuen aufstrebenden IT-Pioniere, die geholfen hatten, Bloggen populär zu machen. Hier bot sich ihm nun Gelegenheit, dasselbe für Podcasts zu leisten.
Es war für Ev an der Zeit, zu beweisen, dass er kein One-Hit-Wonder war. Und Noah war klar: Wenn er den Rundfunk erfolgreich aufmischen und neu erfinden wollte, musste er dem Farmerjungen aus Nebraska die Führung überlassen.
Da Noah die Hände gebunden waren, blieb ihm nichts anderes übrig, als schweren Herzens einzuwilligen. Und so überließ er Ev den Chefsessel bei Odeo im Tausch gegen eine Investition von 200
000 Dollar und die Schlüssel zu der Wohnung, die er auf dem Foto in der Zeitschrift Forbes gesehen hatte.
@Jack
Kaum jemand bemerkte den 28-Jährigen, der Tag für Tag im Caffe Centro am Fenster saß. Leute kamen zum Mittagessen herein oder schlenderten draußen am Fenster vorbei, aber nur wenige nahmen ihn wahr oder sprachen mit ihm. Ihm war es recht so. Meist zog er es vor, sich aus seinen Kopfhörern mit leisem Gedudel obskurer Punkmusik berieseln zu lassen, während seine Finger die Computertastatur bearbeiteten.
Häufig schaute er aus dem Fenster, wie er es den größten Teil seines Lebens getan hatte. Für
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