Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
können, auch wenn sie gar nichts miteinander zu tun hatten. Ein hervorragendes Beispiel dafür war eine seiner Tätowierungen: ein S-förmiger schwarzer Tintenfleck, der den größten Teil seines linken Unterarms bedeckte, aber darunter verbarg sich eine Geschichte. Unter dem dunklen, geschwungenen S hatte ursprünglich gestanden: »Odaemon!?«
Dieses Tattoo besaß unendlich viele Bedeutungen. Das Wort »Daemon« bezog sich auf ein Computerprogramm, das im Hintergrund bleibt. Für Jack symbolisierte es ihn, wie er sich selbst sah, als Menschen, der »hinter dem Vorhang« lebte und wenig Einfluss besaß. Das Ausrufezeichen sollte seine Lebensfreude ausdrücken, das Fragezeichen seine Neugier gegenüber der Welt. Zudem hatte er das Wort auf die Unterseite seines Arms tätowieren lassen.
Später hatte er das Tattoo abdecken lassen. Er hatte verschiedene Berufswege ausprobiert und eine Zeit lang als Masseur gearbeitet. Wenn Leute halb nackt auf seiner Massageliege lagen und auf seinen Arm schauten, dachten sie, das Tattoo bedeute »Dämon« und ihr Masseur sei ein Teufelsanbeter. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass die meisten sich von ihm nur einmal massieren ließen.
Jack bekam praktisch auf Anhieb eine Stelle als freier Mitarbeiter bei Odeo und fügte sich problemlos in die Firmenkultur ein. Er besaß eine Hackermentalität, keine abgeschlossene Berufsausbildung und liebte das Programmieren. Außerdem hatte er eine solide Arbeitseinstellung und erledigte alle Aufgaben schnell und akkurat.
Das Programmieren hatte er in jungen Jahren gelernt, als er seinem Vater Tim bei beruflichen Projekten geholfen hatte. Schon als Kind hatte er nicht von Spielzeugpistolen oder Spielzeugautos geträumt, sondern sehnsüchtig Elektronikprospekte von RadioShack studiert und Bilder des Rechners, den er sich zu Weihnachten wünschte, in seinem Zimmer aufgehängt. Er hatte sich auch selbst als Hacker versucht und sich einmal in New York City einen Job verschafft, indem er sich in die Internetseite einer Firma gehackt hatte, um zu zeigen, wie anfällig sie war. Wenn Jack nun also die Odeo-Webseite programmierte, war es, als würde ein erfahrenerAutomechaniker einen Rasenmäher reparieren.
Seine Arbeit erledigte er systematisch. Sobald sein Kopfhörer eingestöpselt war und ein Programmierbuch aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch lag, rieselte der Programmiercode über seinen Monitor. Es dauerte nicht lange, bis er den »Preis für die Erledigung von Drecksarbeiten« – den Getting Shit Done Award – gewann, den Ev für den effizientesten Arbeiter der Woche ausgesetzt hatte. Freitags ging im Büro ein Hut herum, in den jeder einen Zettel mit dem Namen des produktivsten Mitarbeiters der Woche warf. Nachdem Ev und Noah die Stimmzettel ausgezählt hatten, verkündeten sie den Gewinner.
»Der Getting Shit Done Award geht an …«, sagte Ev und machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen, »… Jack!« Alle klatschten, und Jack stand, strahlend vor Stolz, auf, um den Preis entgegenzunehmen. Manchmal bestand er aus Geld, andere Male aus Kleingeräten.
Die meisten im Büro mochten Jack, scheuten aber nicht davor zurück, ihm zu sagen, dass sie seine Ideen ein bisschen verschroben fanden. Ständig experimentierte er mit seltsamen Plänen herum. Eines Tages erschien er zur Arbeit in einem weißen T-Shirt, auf das in riesigen dunklen Ziffern seine Handynummer appliziert war. Einem Kollegen erklärte er, es handele sich um ein Experiment. Er wolle mit seiner Handynummer auf dem T-Shirt durch San Francisco laufen wie eine menschliche Reklametafel und abwarten, ob ihn jemand anriefe. Die meisten ignorierten zwar die wandelnde Telefonnummer, aber einige beschlossen anzurufen.
»Hallo?«, meldete sich jemand.
»Hallo«, antwortete Jack einsilbig.
»Wer ist da?«
»Hier ist Jack. Wer ist da?«
Die Gespräche mündeten schon bald in einem peinlichen Geplänkel, wie es gewöhnlich Zufallsbegegnungen mit einem oder einer Ex vorbehalten ist. Es versteht sich von selbst, dass die Anrufe bald aufhörten.
Ähnlich abstruse Experimente hatte Jack auch schon gemacht,bevor er zu Odeo kam. Als er 2002 Anfang zwanzig war, hatte er sich für eBay begeistert. Da er damals völlig mittellos war und nichts zu verkaufen hatte, hatte er angeboten, dem Meistbietenden das bekannte Kinderbuch Goodnight Moon am Telefon vorzulesen. Es gelang ihm, seinen Vorlesedienst an vier verschiedene Leute zu verkaufen – einer zahlte 100 Dollar, um Jack, einen ihm
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