Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Computerfreaks tippten auf ihren Tastaturen herum. Weiße Ikea-Vorhänge, die von der Decke hingen, teilten einige Bereiche des großen Raums ab. Jack wurde in den Konferenzraum geführt.
Ev kam herein, setzte sich und begann mit den üblichen banalen Fragen: wo Jack bisher gearbeitet habe, wo er herkäme und was ihn nach San Francisco verschlagen habe. Schon nach kurzer Zeit unterbrach lautes Stapfen auf dem Gang ihr Gespräch. Die Türschwang auf, knallte gegen die Wand, und ein Hüne von Mann platzte herein. »Hey! Was läuft, Leute?«, fragte er schwungvoll und fügte an Jack gewandt hinzu: »Hi! Ich bin Noah. Noah Glass.«
Noah hatte eine riesige Schüssel mit Salat in der Hand. Als er hereinstürmte, segelten einige Salatblätter zu Boden. Er setzte sich ans andere Ende des Tisches, einige Plätze von Jack und Ev entfernt.
»So, du machst also Logistik?«, fragte er Jack, als ob Ev gar nicht da sei.
Leicht verwirrt über diesen Auftritt schaute Jack zu Ev hinüber, dessen Miene angespannt wirkte. Beide sahen Noah an. »Ja, ich habe mal Programme für das Verteilersystem von Fahrradkurieren geschrieben«, antwortete Jack.
»Cool, cool«, sagte Noah kopfnickend. »Na ja, was wir hier machen ist so was Ähnliches.« Er nahm einen großen Bissen Salat, der ihm wie Fangzähne aus dem Mund hing. »Ja, wir machen Tonbeiträge als Podcast und dann …« Er machte eine Pause, in der sein Gehirn offenbar überlegte, was er als Nächstes sagen sollte. »… dann werden diese Podcasts an User vertrieben!«
Ev brodelte innerlich, während Noah drauflosplapperte. Im Verhältnis der beiden gab es zunehmend Spannungen. Es war nicht klar, wer zu entscheiden hatte, und manchmal stand Ev, der Einsiedler, im Schatten Noahs, dessen Stimme meist am lautesten im Büro zu hören war. Davon wusste Jack natürlich noch nichts.
Nach dem Bewerbungsgespräch wurde Jack Rabble vorgestellt, der ihm einige einschlägige Fragen über seine Programmierkenntnisse stellte, aber vor allem etwas über seine politische Einstellung wissen wollte.
Während Ev und Noah sich stritten, wer das Sagen in der Firma hatte, stellte Rabble die meisten Programmierer für Odeo ein, häufig Freunde von ihm, die eine ähnliche antiautoritäre Hackermentalität hatten wie er. Einen Freund, Blaine Cook, einen schlanken 24-jährigen Kanadier mit langen blonden Haaren, hatte er mit an Bord geholt, um beim Erstellen der Backend-Programmierung zu helfen. Ein anderer ehemaliger Hacktivist, der Proteste gegen dieRegierung unterstützt hatte, arbeitete aus der Ferne beim Aufsetzen der Server mit, die sämtliche Odeo-Podcasts speichern sollten.
Einige von Rabbles Freunden waren so extrem in ihrer Antihaltung gegen das Establishment, dass sie nicht einmal für ihn arbeiten wollten. Als er Moxie Marlinspike anrief, einen schlaksigen Sicherheitsforscher und Hacker mit langen, zotteligen Dreadlocks, verweigerte dieser rundheraus die Mitarbeit: »Ich arbeite nicht für deine verdammten Dot.coms.«
Wenn Rabble vor die Wahl gestellt war, einen Hacker oder einen Mitläufer einzustellen, entschied er sich immer für den Hacker. Einmal hatte sich auf eine Stelle bei Odeo ein Mann beworben, der bei einem großen Unternehmen gearbeitet hatte. Ev hatte ihn einstellen wollen, aber Noah und Rabble hatten befürchtet, dass er eine Menge Meetings einberufen würde. (»Ich will nicht zu Meetings gehen müssen«, hatte Noah eindringlich gebeten.)
Jack, der Tattoos und einen Nasenring hatte und offen erzählte, dass er in St. Louis ständig im Internet in Hackerforen unterwegs gewesen war, passte also perfekt ins Bild.
Zudem hatte Jack eine anarchistische Vergangenheit. Am rechten Oberschenkel trug er ein Tattoo in Form eines rot-schwarzen Sterns, das Symbol einer anarchistischen Gruppe. Im Internet hatte er seit Jahren wortgewaltig seine Abneigung gegen Krieg und Konzerne geäußert. Auf seiner eigenen Internetseite, gu.st, hatte er über diese Themen geschrieben und einige Tiraden über die Gefahren des Kapitalismus, seine Verachtung für Banken und die Erdölgier der Amerikaner gepostet. Zudem besuchte er regelmäßig Foren, die sich für Feminismus einsetzten.
Als Jack das Gebäude verließ und das Vorstellungsgespräch im Geiste noch einmal durchging, war ihm klar, dass er die Stelle bekommen würde. Sein Zusammentreffen mit Ev im Café empfand er als gutes Omen.
Jack besaß eine geradezu unheimliche Fähigkeit, Verknüpfungen zwischen Momenten und Dingen herstellen zu
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